Verlängertes Wochenende an der Donau! Unser erster Eindruck: Wien hat architektonisch dieselbe verkommen-mondäne Atmosphäre wie Berlin, allerdings natürlich auf einem höheren Niveau. Dafür ist Berlin deutlich organisierter, was sich zum Beispiel in übersichtlichen Straßenbahn-Netzplänen zeigt. Diese sind in Wien komplett unbrauchbar.
Unser Programm beginnen wir ganz klassisch mit einer doppelten Straßenbahntour entlang der Ringstraße und schauen uns dann das grandiose Kunsthistorische Museum an. Die Sammlung ist wirklich beeindruckend, auch wenn die Präsentation der einzelnen Werke etwas veraltet wirkt. Offenbar legt man in Österreich noch nicht so viel Wert auf Museumspädagogik wie anderswo. Für den Abend habe ich uns dann einen echten Geheimtip für böhmische Spezialitäten herausgesucht: das urige Smutny in der Elisabethstraße. Beim Abkassieren erzählt uns der Ober aber nonchalant, daß die Wirtschaft hauptsächlich von Touristen aufgesucht werde, grrr. Immerhin haben wir uns in der 1. Etage einen Tisch ganz hinten ausgesucht, so daß der elende Kerl durch den ganzen Laden laufen muß. Strafe muß sein!
Der Freitagmorgen steht ganz im Zeichen von Wiens zweitwichtigstem Werbeträger: Wir schauen uns die Wohnung des Walzerkönigs in der Praterstraße an. Beim Anhören der Musikproben fällt mir eine Einspielung des Walzers Vergnügungszug(!) aus dem Jahr 1944(!) auf. War das vom Dirigenten damals als musikalischer Scherz gedacht? Oder ist es ein Gag des Strauß-Museums? Der überforderte Museumsmitarbeiter kann uns jedenfalls keine Auskunft geben, er habe keine Ahnung von Musik. Quo vadis, Stadt Beethovens und Mozarts! Immerhin unterscheidet das Stadtmagazin Falter in seinem Veranstaltungskalender herrlich bildungsbürgerlich zwischen U- und E-Musik. Apropos Beethoven: In seiner Wohnung an der Mölker Bastei stoßen wir auf eine Horde Japaner, die eine Dokumentation drehen und dabei einen zwielichten Franzosen interviewen. Von dieser Erfahrung erholen wir uns bei Schokolade & Melange im Café Hawelka, dem Mekka aller TwixT-Spieler. Am Abend spazieren wir noch durch die Hofburg und werden dabei Zeuge eines Terroranschlags: Andre Rieu tritt mit seiner Gang auf dem Michaelerplatz auf. Ganz Wien hat nichts anderes im Sinn, als ihm möglichst nah auf die Pelle zu rücken, und wir stolpern versehentlich beinahe in den Backstage-Bereich. Hilfe!
Am nächsten Tag geht es ans Eingemachte: die Kaiserappartements in der Hofburg. Wir fragen uns, warum die ganze Welt das berühmte Kaiserpaar bis heute so verehrt. Was ist bitteschön so bewundernswert an einer exaltierten, neurotischen Zicke und einem bäuerlichen Langweiler, der zum Ende seines Lebens unbedingt noch einen Weltkrieg beginnen muß? Die beiden haben anscheinend auch gehaust wie die Barbaren, denn es gab im ganzen Schloß offenbar nicht mal ein einziges brauchbares Rotweinglas! Vom kaiserlichen Park in Schönbrunn sind wir allerdings begeistert. Ursprünglich sollte das dazugehörige Schloß die Anlage in Versailles übrigens weit in den Schatten stellen. Dieses Ziel ist natürlich kraß verfehlt worden. Es wäre wohl die teuerste psychotherapeutische Maßnahme der Menschheitsgeschichte geworden. Tja, die Habsburger und ihr historisch unvergleichlicher Minderwertigkeitskomplex! Abends erhalten wir zufällig noch die Möglichkeit, die Wiener Philharmoniker zu dirigieren. Anke interpretiert den Radetzky-Marsch außerordentlich sportlich, ich entzücke das Publikum mit einer ungewohnt heterogenen Kleinen Nachtmusik.
Und dann bricht unser letzter Tag in der Donaumetropole an. Wir schauen noch kurz im Prater vorbei, besuchen die Musikergräber auf dem Zentralfriedhof (der zentral an der Stadtgrenze liegt) und bewundern anschließend die tolle Sammlung im Oberen Belvedere. Meinen neuesten Wortwitz ("Wir machen quasi Klimtzüge, kicher!") findet Anke allerdings nicht sonderlich überzeugend, schade.
Insgesamt ein traumhaftes Wochenende in Wien - bestimmt nicht unser letztes.