Montag, 18. August 2008

Messiaen in Neustadt

Gewiß, gewiß, auch die populäre Musikkultur des 20. Jahrhunderts hat so manches Werk hervorgebracht, das es wohl nicht in den Kanon künftiger Generationen schaffen wird. Aber war es nicht die erklärte Absicht der Neuerer Anfang des 20. Jahrhunderts, die Musik der Zukunft zu schaffen? Gemessen daran hat die Neue Musik großflächig versagt (hier ein schöner Stimmungsbericht von Joe Queenan). Wahrscheinlich lebt sie nur noch fort, weil zeitgenössische Komponisten sich auf bequemen Lehrstühlen ausruhen können. Eigentlich bemerkenswert: In dem Moment, in dem man die klassische Musik in den Stand förderungswürdiger Großkultur (mit Symphonieorchestern und Musikhochschulen in jedem zweiten Dorf) erhob, verurteilte man sie zu ewiger Starre. Ein typisches Symptom der Subventionitis.

Doch uns kann ja nichts schrecken, und so machen wir uns bei bestem Wetter auf, ein Konzert der Internationalen Messiaen-Woche in Neustadt an der Weinstraße zu besuchen. Unsere Wahl fällt auf eine Aufführung der Vingt regards sur l'Enfant-Jésus in der Kirche St. Jakobus, einem nach diversen Umbauten erschreckend barocken Gotteshaus. Allerdings grenzt die Kirche direkt an einen Weinberg, was wir als Hinweis auf frühes praktisches Denken in der Katholischen Kirche verstehen.

Das Publikum ist unerwartet gut gekleidet, aber erwartungsgemäß unerfahren. Auf die Idee, ausgerechnet bei einem Werk wie den Vingt regards nach den einzelnen Betrachtungen zu applaudieren, kann man wohl nur in der Pfalz kommen. Überhaupt: Applaus für Messiaen-Musik! Meinetwegen kann man den aufführenden Künstlern ja für eine bemerkenswert sportliche Leistung applaudieren, aber doch bitte nicht der Musik selbst. Messiaen gilt ja bis heute als Musiker, obwohl man seine technischen Übungen doch viel eher als Architektur betrachten sollte, wenn auch als verkorkste. Warum hat niemand den Mut, das Experiment der zeitgenössischen klassischen Musik endlich für gescheitert zu erklären? In diesem (und nur in diesem) Punkt kann ich Wickert zustimmen: Musikgaukler muß man Musikgaukler nennen.

In der Pause die große Frage: Wie können wir das Konzert sozialverträglich (d.h. ohne aufzufallen) verlassen? Ganz überraschend bietet sich hinter der hüfthohen Kirchenmauer eine willkommene Fluchtmöglichkeit, und so verschwinden wir durch den idyllischen Weinberg. Unser Mut wird mit herrlichen Brombeeren belohnt. O Dionysos!

Da ja Messiaen unseren Hunger nicht stillen konnte, machen wir erst mal Station in einer der unwichtigsten Burganlagen Deutschland, der Burg Spangenberg. Ein ganzes Jahrtausend lang wußte niemand, warum es diese Burg überhaupt gibt. Ihre Existenzberechtigung erhielt sie erst mit der skurril-urigen Burgschänke, wo Leberknödel und Saumagen noch hausgemacht sind - heute ja leider keine Selbstverständlichkeit mehr in der Pfalz.

Wagemutig treten wir den Rückweg über die traumhafte Totenkopfstraße an, die ja lange Zeit vor allem als Tatort bekannt war. Inzwischen gibt es hier erfreulicherweise aber keine Gauner mehr, und selbst für Motorradfahrer ist sie mittlerweile gesperrt.

Unser Ausflug endet kurz vor Karlsruhe im Stau an der Rheinbrücke. Doch man sollte jeden Stau als Chance begreifen, und so können wir im Radio noch einen hochinteressanten DLF-Bericht über kriminalistische DNA-Datenbanken hören. Offenbar hat Deutschland hier noch großen Nachholfbedarf. Wolle, was ist los?

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