Dienstag, 30. Dezember 2008

Nur tote Kinder sind gute Kinder

Die Zahl der Kindstötungen geht seit Jahren zurück. Das paßt den Spaßvögeln vom Bund Deutscher Kriminalbeamter (BDK) natürlich überhaupt nicht in den Kram. Darum hat der BDK einfach einen obskuren Vergleichswert herangezogen, um irgendwie doch noch zu beweisen, daß da draußen immer mehr Kindermörder herumlaufen. Die Medien haben den Quatsch natürlich wie gewohnt ohne Gegenrecherche abgedruckt.

Montag, 29. Dezember 2008

Aufgelesen (7)

"Geschichten wisse er keine, sagte Humboldt und schob seinen Hut zurecht, den der Affe umgedreht hatte. Auch möge er das Erzählen nicht. Aber er könne das schönste deutsche Gedicht vortragen, frei ins Spanische übersetzt. Oberhalb aller Bergspitzen sei es still, in den Bäumen kein Wind zu fühlen, auch die Vögel seien ruhig, und bald werde man tot sein.
Alle sahen ihn an.
Fertig, sagte Humboldt.
Ja wie, fragte Bonpland.
Humboldt griff nach dem Sextanten.
Entschuldigung, sagte Julio. Das könne doch nicht alles gewesen sein.
Es sei natürlich keine Geschichte über Blut und Verwandlungen, sagte Humboldt gereizt. Es komme keine Zauberei darin vor, niemand werde zu einer Pflanze, keiner könne fliegen oder esse einen anderen auf. Mit einer schnellen Bewegung packte er den Affen, der gerade versucht hatte, ihm die Schuhe zu öffnen, und steckte ihn in den Käfig. Der Kleine schrie, schnappte nach ihm, streckte die Zunge heraus, machte große Ohren und zeigte ihm sein Hinterteil."

Daniel Kehlmann, Die Vermessung der Welt

Rechtsempfinden

Pünktlich zum Jahreswechsel freuen sich unsere Medien wieder einmal über den Untergang des Abendlandes: immer mehr rechtsradikale Straftaten auf deutschem Boden, pfui und juhu! Daß der Anstieg aber lediglich auf einer veränderten Erfassungsweise basiert, interessiert praktisch niemanden.

Only bad news are good news.

Samstag, 27. Dezember 2008

Zwei Wochen auf der Gefängnisinsel

Kuba feiert Anfang Januar 50 Jahre Mangelwirtschaft und Lebensmittelknappheit. Da man ja inzwischen weiß, welche Folgen derartige Jubiläen haben können, schauen wir uns den real existierenden Sozialismus vorher noch einmal ausgiebig an. Wer weiß, was nach Castro kommt!

Auf dem Flughafen werden mir mit allen kubanischen Ehren empfangen: Stromausfall, alle Kofferbänder stehen still! Doch schon in unserem Hotel in Havanna erkennt man den Einfluß des Klassenfeindes: Es gibt rund um die Uhr fließendes (warmes!) Wasser und Strom. Auch kulinarisch hatte ich mir den Kommunismus schlimmer vorgestellt. Der Kaffee erinnert an guten Tagen durchaus an Kaffee, die Butter ist ab und zu sogar genießbar, und die Milch ist ... Aber wen interessiert schon Milch!

Bei unseren Streifzügen durch die malerische Altstadt lernen wir schnell die drei Hauptbeschäftigungen der Kubaner kennen: 1. Herumstehen, 2. In Dreiergruppen "Arbeit" erledigen, 3. Herumstehen und Dreiergruppen bei ihrer "Arbeit" beobachten. Überhaupt scheint die Planwirtschaft so manchen Vorzug zu besitzen. Fidel höchstselbst zum Beispiel wohnt in einer Villa im Nobelstadtteil Miramar - so macht Sozialismus Spaß!

Apropos Spaß: Schon nach 2 Tagen entdecken wir ein Restaurant, in dem man beinahe kultiviert speisen kann - La Dominica. Doch auch hier wenden die Kubaner ihre beiden Tricks an, um gute Tischstimmung wirksam zu bekämpfen: a) Zwei Sekunden, nachdem man Gabel und Messer zur Hand genommen hat, spielt eine Live-Band auf - und zwar bevorzugt Hasta siempre, Chan Chan und das ganz und gar unerträgliche Guantanamera. Als Europäer sehe ich ja ein, daß Essen und Musik wichtige menschliche Tätigkeiten sind, aber bitte doch niemals gleichzeitig! b) Zwei Sekunden, nachdem man Gabel und Messer für einen Augenblick zur Seite legt, wird gnadenlos der Tisch abgeräumt. In diesem Punkt und nur in diesem legt ganz Kuba Wert auf höchste Effizienz.

Als nächstes besuchen wir das herrliche Viñales-Tal und schauen uns dort die Cueva del Indio an. Nach dem Mittagessen zeigt unsere Reiseführerin auf ein Loch im Felsen und kündigt an: "Wenn Ihr zurück zum Bus wollt, müßt Ihr durch die Hölle gehen!" Hängen Mangelwirtschaft und christliches Purgatorium wirklich so eng zusammen? Doch am Ende entpuppt sich alles nur als phonetisches Mißverständnis. Später führt man uns noch zum Mural de la Prehistoria, die wohl schlimmsten Attraktion der Insel. Die Natur wird noch Jahrzehnte, wenn nicht Jahrhunderte brauchen, um diese gigantische Wandmalerei zu neutralisieren.

Am nächsten Mittag geht es mit dem Flugzeug nach Santiago de Cuba - denken wir jedenfalls. Doch wir erfahren zunächst, daß unser Flug erst am Abend geht ... und später, daß er heute ausfällt. Warum, weiß niemand. Kurzerhand werden einige Kubaner aus dem Flieger nach Holguín geworfen, so daß wir ihre Plätze erhalten. Reisende sind für das Regime Gott sei Dank stets Bürger 1. Klasse - Sozialismus ist eben immer auch Asozialismus. Von Holguín fahren wir dann mit einem Schrottbus weiter und kommen mit nur einem halben Tag Verspätung an der karibischen Küste an. All dies ist natürlich kein Grund, an den Errungenschaften der Revolution zu zweifeln!

Piraterie ist heute auf Kuba nur noch an Touristen erlaubt, früher ging es auf der Insel allerdings weitaus wilder zu. Doch Obacht: pirata non est pirata! In der Hafenfestung El Morro werden wir über den Unterschied zwischen Freibeutern, Seeräuber und anderen Lumpengesellen aufgeklärt und stoßen auch auf Jacques Jean David Nau, den wohl häßlichsten aller Piraten. Mit dem Gesicht blieb ihm aber auch gar nichts anderes übrig!

Unser Tour führt uns auf den Spuren von Fidel & Che weiter nach Norden. In jedem Dorf stoßen wir auf revolutionäre Durchhalteparolen, die Hälfte aller Kindergärten, Schulen und Imbißstuben ist nach dem "Vater der Kubaner" José Martí oder dem 1. Januar benannt. Ist in Kuba nach 1959 denn wirklich überhaupt nichts Wichtiges mehr passiert? Schließlich landen wir im Städtchen Camagüey, das zum Schutz vor Piraten wie ein Labyrinth angelegt wurde. Es ist außerdem die einzige Stadt der Welt, in der man mit dem Fahrrad in die Kirche fahren kann. Pray-In, eigentlich ja eine sehr US-amerikanische Idee! Später entdecken wir in Trinidad den einzigen kubanischen Frühstückstisch, der europäischen Ansprüchen genügen kann. Allerdings steht er in einem Museum und gehörte mal dem Zuckerbaron Brunet. Apropos Frühstück: Als ich am nächsten Morgen im Frühstücksraum ein wenig am Müslispender drehe, bricht der ganze Apparat zusammen. Anschlag auf den Apparat - wie revolutionär!

Unsere Reise endet in der Hölle von Varadero (die Hölle, das sind die anderen!). Ohne es zu wissen, hatten wir ein Superior-Zimmer gebucht. Und "superior" heißt: in unmittelbarer Nähe zum entsetzlichen Animationsbereich. Glücklicherweise können wir unser Zimmer tauschen. Am 24.12. möchte uns die Hotelbesatzung mit einem festlichen Dinner noch einmal die Überlegenheit des sozialistischen Wirtschafts-systems beweisen. Und tatsächlich: Es bilden sich sofort lange Schlangen vor dem Hotelrestaurant, q.e.d.! Aber immerhin funktioniert nun auch wieder eine der beiden Kaffeemaschinen.

Hasta la victoria siempre!

Mittwoch, 10. Dezember 2008

Säbelrasseln vor Mogadischu

Die EU schickt ca. sechs Kanonenboote an die somalische Küste, um den Welthandel vor Piraten zu schützen. Die beeindruckende Flotte soll ein Gebiet unter Kontrolle halten, das in etwa die Größe von Frankreich und Deutschland zusammengenommen hat.

Fortschrittliche Politiker denken jetzt bereits über Schlußfolgerungen für die innere Sicherheit nach, wenn das Effizienzprojekt Erfolg haben sollte. Sicherheitsexperten gehen davon aus, daß in den südlichen Bundesländern ca. fünf Streifenpolizisten und ein Kriminalbeamter die öffentliche Ordnung gewährleisten könnten. In den nördlichen Bundesländern gelten ähnliche Zahlen als machbar, hier käme allerdings wohl noch ein Schülerlotse hinzu. Deutschland und Spanien verhandeln zudem über die Einstellung eines gemeinsamen Feuerwehrmannes.

Dienstag, 9. Dezember 2008

Aufgelesen (6)

"In demselben Jahr ... erblickte weit weg ... ein Knabe das Licht der Welt. Sein Name war RH Bing. Nein, das ist kein Druckfehler, es fehlen keine Punkte zwischen den Initialen. Das R und das H sind nicht die Initialen seiner Vornamen. Sie sind sein Vorname. Er wurde Arhaitch oder so ähnlich gerufen ... Natürlich führte der seltsame Vorname zu Verwirrung und Geschichten ohne Ende. So wird erzählt, daß Bing, als man ihn zum Professor an der Universität von Wisconsin ernannte, gefragt wurde, was auf dem Namenschild stehen solle. Seinem Vornamen treu, erwiderte er: 'R only, H only, Bing'. Als er zu seinem neuen Büro kam, fand er auf dem Namensschild neben der Tür die Inschrift 'Ronly Honly Bing'".

George S. Szpiro, Das Poincaré-Abenteuer

Montag, 8. Dezember 2008

Noch mal Pinakothek

Das mit großem Abstand trivialste Bild der gesamten Neuen Pinakothek befindet sich übrigens in Saal 21a. Es heißt Rosse des Neptun und stammt von Walter Crane.

Volksbank und Wohlfahrt

Deutschlands bester Koch Harald Wohlfahrt wirbt auf Plakaten für die Volksbank Karlsruhe. In der Hand hält er eine Pfanne, darüber steht in der Headline, daß die Abgeltungssteuer ein heißes Thema sei. Ein Marketingschlaukopf dachte offenbar, daß durch die Verbindung von Geldanlage und kulinarischen Genüssen dem Betrachter Appetit gemacht wird.

Doch eine dermaßen infantile Kundenansprache wirft natürlich Fragen auf. Zum Beispiel: Haut die Volksbank ihre Kunden mit diesem Angebot in die Pfanne? Oder kommt man mit ihrer Anlageberatung in Teufels Küche?

Die alte Plakat-Großleistung der Sparkassen-Versicherung gefällt mir aber nach wie vor eine Spur besser.

In Minga samma

In der Neuen Pinakothek läuft gerade die Sonderausstellung Der weite Blick mit Bildern aus dem Amsterdamer Rijksmuseum - das ist natürlich ein schöner Anlaß, endlich mal wieder an die Isar zu fahren.

Irgendwo auf der Schwäbischen Alb machen wir Rast und entdecken sogleich den ersten Witz des Tages. Auf dem Parkplatz steht ein Bandbus mit der Aufschrift "Das Musikereignis aus Süddeutschland". Früher gab es Trompeter, Schlagzeuger, Gitarristen - heute also "Musikereignisse". Soso.

Gleich nach der Ankunft machen wir uns auf den Weg zur Neuen Pinakothek und sind auf Anhieb begeistert von den grantelnden Mitarbeitern. Das ist München! Die Ausstellung selbst ist dann bemerkenswert pädagogisch. Der Impressionismus wird als recht lineare Weiterentwicklung vorheriger Kunstströmungen gedeutet. Keine Revolution, kein Umsturz! Das ist natürlich echt bayerisch.

Ich bin ja in den letzten Monaten eher kulturpessimistisch gestimmt. Realistische Malerei fand ich immer schon trivial, Abstraktion aber zunehmend leider auch. Vielleicht läuft ja alles auf die berüchtigte Hofstadter-Kaskade hinaus: Zunächst findet man ein bestimmtes Werk zu seicht. Dann eine bestimmte Kunstrichtung. Dann die Kunst an sich. Und irgendwann sich selbst. Beim Rundgang stoßen wir immerhin auf zwei Maler, die wir noch nicht kannten: Anton Mauve und Giovanni Segantini, dessen Werke einen bemerkenswert individuellen Stil zeigen.

Kultur macht hungrig, und wir beschließen, pakistanisch essen zu gehen. Doch man kommt nur ins Restaurant, wenn man vorher klingelt. Das ist uns allerdings eine Spur zu münchnerisch. Also gehen wir ins Tresznjewski gleich nebenan, das auf seiner Karte ungewöhnlich für sich wirbt: Unter anderem würden hier "Professoren und ihre Studenten" speisen. Tief beeindruckt bestellen wir ein Sandwich und Treszis Spezialburger mit 180 Gramm Rindfleisch. Später erfahren wir, daß der Laden ein notorischer Treffpunkt der Schickeria ist. Münchnerischer geht's kaum. Und wir haben nicht mal Kir Royal geordert!

Zum Tagesabschluß treffen wir uns noch mit Sandra & Pit auf einen Kaffee irgendwo zwischen Stachus und Hauptbahnhof. Die beiden sind entgeistert: Wie könne man nur auf die Idee kommen, ausgerechnet während des Christkindlmarktes nach München zu reisen? Immerhin haben die Menschenmassen rund um den Marienplatz einen kleinen Vorteil: Auf dem Viktualienmarkt ist es vergleichsweise leer.

Donnerstag, 4. Dezember 2008

Randalu im Kollektiv

Kristjan Randalu spielt mal wieder im Jazzclub Karlsruhe, diesmal mit dem TransAtlantic Collective. Man könnte einfach sagen, daß vier Spitzenmusiker handelsüblichen Modern Jazz handwerklich perfekt auf die Bühne bringen, wenn da nicht das Stück Traveling Song des Schlagzeugers(!) Paul Wiltgen mit einer wirklich packenden Melodie wäre. Den Herrn wird man sich merken müssen.

Kristjan Randalu gefällt mir aber wie immer dann am besten, wenn er allein oder mit möglichst wenigen anderen Musikern spielt. Wirklich ein Jazzpianist der Sonderklasse.

Schafschützen

NATO-Kampfflugzeuge haben in Afghanistan 200 rebellische Schafe getötet. Man habe sie irrtümlich für Taliban-Kämpfer gehalten.

Montag, 1. Dezember 2008

Von China lernen

... heißt siegen lernen. Zum Wohl des Bürgers möchte die Bundesregierung nun auch Glücksspielseiten sperren lassen, wenn sie im Ausland betrieben werden. Artikel 2 (1) GG? Ist doch vollkommen wurscht, wenn der Staat sein Glücksspielmonopol und die damit verbundenen Einnahmen schützen möchte.