Dienstag, 28. Oktober 2008

Was will mir mein Über-Ich damit sagen?

Eigentlich suche ich nur nach dem günstigsten Preis für einen bestimmten PC-Lautsprecher. Also schnell billiger.de eintippen. Aber was sehe ich dann in der Adreßzeile meines Browsers? billig.erde. Da will man sich einfach mal nur preisbewußt verhalten, und das blöde Unterbewußtsein dankt es einem mit einer rätselhaften Botschaft. Billig-Erde - ist das Konsumkritik? Oder Öko-Esoterik? Oder der Produktname eines Gartenbaumarktes?

Nicht einmal auf das eigene Über-Ich kann man sich heutzutage noch verlassen.

Montag, 27. Oktober 2008

Ey Iran!

Wer hätte das gedacht! Ausgerechnet aus dem Iran kommt der beste und wahrscheinlich auch einzige Nationalhymnenscherz unserer Zeit: Von 1979 bis 1980 hieß die iranische Hymne doch tatsächlich Ey Iran. Wer hätte den gottesfürchtigen Herren diesen kumpelhaften Duktus zugetraut?

Die Retter der Kokosnuß

Nun ist es also soweit. Die Staatsbank West LB braucht viel Geld von ihrem Papa, gibt sich aber heldenhaft und unerschrocken: Man habe "keine Scheu vor einem großen Schluck aus der Pulle".

Ich übrigens auch nicht. Weiß jemand, wo ich anrufen muß, damit ich das Geld bekomme? Ein paar hundert Millionen würden genügen.

Samstag, 25. Oktober 2008

Ein Tag am Main

Wie üblich legen wir zum Jahresende hin einen Museumstag in Frankfurt ein. Dem ICE-Chaos zum Trotz kommen wir recht pünktlich am Main an und starten wienerisch im Alten Café Schneider. Uns gegenüber sitzt eine Mischung aus Ralph Giordano und Hans-Christian Ströbele. Der Herr bewegt sich betont langsam und wirkt dabei reichlich unzufrieden. Ein Hartz-IV-Empfänger? Nein, denn er wird plötzlich von einer Dame fotografiert. Offenbar also ein Künstler.

Nach der kleinen Stärkung machen wir uns auf dem Weg zum herrlichen Chinesischen Garten. Inzwischen kann ich ja durch keine Fußgängerzone mehr gehen, ohne sofort jeden billigen Wortwitz zu entdecken, und so stoße ich in der Zeil auf die Kanzlei von Rechtsanwalt Ralf Albern. Albern vor Gericht - ob das eine gute Strategie ist?

Als wir den Chinesischen Garten verlassen, müssen wir uns beim steinernen Drachen am Ausgang natürlich noch etwas wünschen, Ritus ist Ritus. Ich rolle die Steinkugel in seinem Maul vorschrifts- mäßig dreimal hin und her und wünsche mir inbrünstig, daß es mit dem elenden Aberglaube doch endlich einmal zu Ende gehen möge. Doch dummerweise habe ich die Kugel mit der linken Hand bewegt, das kann ja nichts werden! Übrigens steht direkt vor dem Garten ein Freiluft-Schachbrett. Schach, nicht Go - tz, tz!

Schließlich das Ziel unseres Ausflugs, die Schirn. Momentan läuft dort ja eine große Peter-Doig-Retrospektive, die man natürlich unbedingt gesehen haben muß. "Doig hat der Malerei das Atmosphärische zurückgegeben", "Bei Doig bleibt der narrative Aspekt im Ungewissen" usw. - ich kann das bald nicht mehr hören. Traut sich denn keiner zu sagen, daß auch in der Malerei heute fast alles trivial ist, weil man alles schon tausendfach an anderer Stelle gesehen hat? Bei Patenten spräche man von zu niedriger Schaffenshöhe, leider fehlt im Kunstjargon ein entsprechender Begriff. Immerhin schnappe ich im Vorbeigehen einen schönen Satz eines stirnrunzelnden Kunstkenners auf: "Wenn die Bilder eine gewisse Größe erreichen, wird der Rahmen unwichtig". In jeder Hinsicht ein wahres Wort!

Bevor wir nach Hause fahren, müssen wir endlich mal in die Touri-Pflichtgaststube, das Haus Wertheym direkt am Römer. Immerhin ist das Essen erwartungsgemäß reichhaltig.

Mogulpackung

Wir probieren den letzten Inder in Karlsruhe aus, den wir noch nicht kennen: das Mogul Mahal in der Weststadt. Schon vor dem Essen muß ich die ganze Zeit an Rudi Mahall denken. Ein Omen?

Die Bedienung ist flink und freundlich, das Gemüse aber stellenweise arg verkohlt. Anke hat in weiser Voraussicht einen Mangosaft bestellt, ich setze hingegen auf Lassi (zunächst Mango, später Banane). Doch die Getränke, die man mir vorsetzt, schmecken so sehr nach Sirup und so wenig nach echter Frucht, daß mir ein wenig der Appetit vergeht. Am Ende werden uns Desserts aufgetischt, die wir gar nicht bestellt hatten - eine Improvisation, die tatsächlich an Mahall erinnert.

Wahrscheinlich unser letzter Besuch im Mogul Mahal.

Donnerstag, 23. Oktober 2008

Vom Regen in die Taufe

Schon zum zweiten Mal in diesem Jahrhundert nehme ich in gewissem Sinne freiwillig an einem Gottesdienst teil. Und diesmal gleich in der Champions League: Katholische Kirche, Stich! Freunde lassen ihr Kind taufen - das kann ja nicht so schlimm werden, denke ich mir zu Beginn. Der Conférencier sieht immerhin aus wie Rowan Williams, aber ob das heutzutage ein Vor- oder Nachteil ist, kann man ja gar nicht mehr sagen. In seiner Predigt beklagt er den schlimmen Zustand der Welt. Gerade angesichts der Finanzkrise müsse doch jeder erkennen, daß Geld vergänglich sei. Stimmt - allerdings Gott sei Dank nicht im Vatikan!

Nach einigen Lobpreisungen jenes höheren Wesens, das wir verehren, wird losgetauft. Es mag ja reichlich absurd erscheinen, daß Eltern für ihr wenige Monate altes Kind die Zugehörigkeit zu einer 2000 Jahre alten Weltanschauung erklären, die ihre Räume mit Abbildungen römischer Folterinstrumente schmückt. Allerdings entschädigt das humoristische Potential für alles, denn natürlich gehört der Gedanke auf andere Weltsichten ausgebaut. Die Eltern sind Sozialdemokraten? Dann wird das Baby auch in jüngsten Jahren schon Sozialdemokrat! Der Vater war Unternehmer? Dann wird das Kind im Alter von 4 Wochen IHK-Mitglied, später erhält es in der Schule getrennt von Arbeiterkindern Kapitalismusunterricht. Sonntags könnte man dann den Mammon anbeten.

Doch zurück ins Gotteshaus. Wir erleben, wie erwachsene Menschen(!) ganz ernsthaft(!) öffentlich(!) erklären, dem Satan zu entsagen. 250 Jahre europäische Aufklärung ... wofür? Kurz vor Schluß erleben wir immerhin noch einen vollkommen aufrichtigen Moment des Kirchenlebens: Der Klingelbeutel wird herumgereicht. Das versöhnt auch den skeptischsten Humanisten.

Kohle verfeuern

Welche Banken werden wohl als nächstes Milliardenverluste melden? Vieles deutet auf die LBBW und (wieder einmal) die WestLB hin. Ob am Ende überhaupt eine der Landesbanken ohne größere Blessuren davonkommt? Ob am Ende irgendein Politiker aus den Aufsichtsräten Konsequenzen fürchten muß? Ob am Ende die Krise wenigstens genutzt wird, um endlich einmal die unsinnigen deutschen Aufsichtsrat-Regelungen zu reformieren?

Nein. Nein. Nein.

Jauchhee!

Die Ehefrau von Günther Jauch hat eine Klage gegen den Burda-Verlag verloren. Sie wollte sich gegen die Veröffentlichung eines Hochzeitsfotos wehren. Nun hat aber das Oberlandesgericht Hamburg entschieden, daß die Hochzeit der Jauchs ein "hochrangiges zeitgeschichtliches Ereignis" war und die Veröffentlichung damit rechtmäßig.

Ein Fernseh-Quizonkel. Hochrangiges zeitgeschichtliches Ereignis. Deutschland 2008.

Mittwoch, 22. Oktober 2008

Aufgelesen (3)

"Er [Platon] faszinierte seine Landsleute, aber ging ihnen auch ebensosehr auf die Nerven. Als seine Lebensaufgabe bezeichnete er selbst die 'Menschenprüfung', das heißt: er ging überall herum und bewies den Leuten, daß sie alle miteinander nichts verstünden, und zwar ein jeder gerade in seinem Fach."

Egon Friedell, Kulturgeschichte Griechenlands

Firlefinanzpolitik

Politiker fühlen sich ja nur dann richtig wohl, wenn sie mal richtig viel Steuergeld ausgeben können. Zum Beispiel ein paar hundert Milliarden Euro, um eine Krise zu beseitigen, die von staatsnahen Instituten in den USA ausgelöst wurde und derzeit in Deutschland vor allem staatsnahe Banken betrifft. Trotzdem finden 63 % der Deutschen, daß Rabenvater Staat das Bankwesen stärker regulieren sollte. Und das, obwohl er es nicht einmal in seinen eigenen Banken schafft? Verstehe einer unsere mündigen Mitbürger.

Herrlich auch, daß unsere Politiker noch vor zwei Jahren eben jene Finanzkonstrukte in den höchsten Tönen lobten, die sie jetzt verteufeln (siehe auch hier). Es lebe die Konsistenz.



PS: Hier ein hervorragender Economist-Artikel über die Entwicklung der modernen Finanzwirtschaft.

Dienstag, 21. Oktober 2008

DABbank AG - Wir halten geheim und wir schuetzen die Informationen, die Sie uns vertrauen.

Sehr geehrte Kunde DAB Bank!
Wir verbreiten Kennwort nie. Tauschen Sie Ihren Kennwort jede ein Paar Monate.
Seien Sie sicher, dass Ihr Computer von den Programmen des Anti-Virus, der Sicherheit und des Schutzes von anti-spyware erneuert wird.
Laden Sie unsere letzte Software, um zu helfen, Ihren Eingang ins Internet

zu schutzen Hier>>

Brooks Mclain.
2008 Mannschaft der Unterstutzung der DAB Bank.



PS: Der Zeilenumbruch vor "zu schutzen Hier>>" hat mich beinahe an Durs Grünbein erinnert.

Montag, 20. Oktober 2008

Manchmal muß man Prioritäten setzen

Wenn es um Sport geht, übertragt die ARD jedes x-beliebige Ereignis bis zum bitteren Ende. Beim Friedenspreis des Deutschen Buchhandels hingegen wurde die Übertragung kurz vor Schluß beendet - der Presseclub hätte sonst mit zehn Minuten Verspätung starten müssen. Öffentlich-rechtliches Qualitätsfernsehen.

Weniger Journalismus wagen

Stefan Niggemeier hat in einem Vortrag den gegenwärtigen Stand des Online-Journalismus beschrieben. Unbedingt lesenswert!

Dienstag, 14. Oktober 2008

Aufgelesen (2)

"Am allerwenigsten begriff der junge Mensch die diplomatische Bedeutung des Balletts. Mit Mühe zeigte ich ihm ... wie alle seine Tanztouren diplomatische Verhandlungen bedeuten, wie jede seiner Bewegungen eine politische Beziehung habe, so z.B. daß er unser Kabinett meint, wenn er sehnsüchtig vorgebeugt, mit den Händen weit ausgreift; daß er den Bundestag meint, wenn er sich hundertmal auf einem Fuße herumdreht, ohne vom Fleck zu kommen; daß er die kleinen Fürsten im Sinne hat, wenn er wie mit gebundenen Beinen herumtrippelt; daß er das europäische Gleichgewicht bezeichnet, wenn er wie ein Trunkener hin und her schwankt; daß er einen Kongreß andeutet, wenn er die gebogenen Arme knäuelartig ineinander verschlingt; und endlich, daß er unsern allzu großen Freund im Osten darstellt, wenn er in allmählicher Entfaltung sich in die Höhe hebt, in dieser Stellung lange ruht und plötzlich in die erschrecklichsten Sprünge ausbricht."

Heinrich Heine, Die Harzreise

Montag, 13. Oktober 2008

Auf dem Keschdeweg

Großes Expertentreffen in Neustadt an der Weinstraße. Christoph reist mit dem ICE aus Frankfurt an, Andree aus dem Nachbarort Mannheim und ich unbedachterweise mit den Regionalexpress aus Karlsruhe. In meinem Großraumabteil sitzen gleich mehrere pfälzische Wandergruppen, und je näher wir der Hauptstadt des Pfälzer Weins kommen, desto lauter wird der gruppeninterne Diskurs. Erleichtert steige ich in Neustadt aus.

Apropos Hauptstadt: Zufälligerweise wird in der 1a-Einkaufsstadt gerade das Deutsche Weinlesefest gefeiert, und auch Ihre Majestät Königin Marlies ist vor Ort. Doch wir sind ja überzeugte Anhänger der Republik und machen uns stolz auf den Weg zum Hambacher Schloß. Über Stock und Stein und Kastanien (immerhin befinden wir uns auf dem Keschdeweg) nähern wir uns dem Symbol der deutschen Demokratiebewegung und analysieren währenddessen fachkundig den Reich-Ranicki-Eklat. Endlich sagt mal einer, was alle anderen auch sagen!

Dann sind wir aber auch schon oben - und stehen vor verschlossenen Toren. Der Kristallisationspunkt der Freiheit ist bis Anfang November geschlossen. Aber was ist schon Freiheit im Vergleich zu einer deftigen Pfälzer Mahlzeit! Kurzentschlossen kehren wir in der Burgschänke Rittersberg gleich nebenan ein und stärken uns mit Fisch bzw. Saumagen. Die Bedienung kann uns leider nicht verraten, welche Rebsorten in unserer Cuvée P-A-N vom Weingut Stortz-Nicolaus stecken. Als sie nach einer kurzen Pause wieder am Tisch erscheint, klärt Andree sie souverän auf: Es handele sich sicher um Merlot, Cabernet Sauvignon "und einen Hauch Syrah"! Die Dame ist tief beeindruckt, doch dann gibt Andree völlig ohne Not die schönen Prestigepunkt wieder ab: Er habe die Information eben mit seinem Handy ergoogelt.

Nach ein paar weiteren Wanderkilometern beginne ich meine Muskeln zu spüren. Wir gönnen uns noch Kaffee und Kuchen in der bedrückenden Innenstadt (siehe Bild) und probieren zum Abschluß auf dem Weinlesefest noch einen sehr mageren Riesling von der Hambacher Winzergenossenschaft. In meiner rechten Wade kündigt sich inzwischen ein kolossaler Muskelkater an. Schlechter Riesling ist offenbar nicht gut für die menschliche Muskulatur.

Bundeswurstkreuz

Die Wursttheke des Scheck-in-Marktes in Baden-Baden erhält die höchste Auszeichnung, die die Nation überhaupt an ihre Wursttheken vergeben kann. Künftig wird "... eine farbenprächtige, rund 50 Zentimeter große Skulptur aus Würsten und Schinken, entworfen vom international bekannten Künstler Otmar Alt, ... die Blicke auf sich ziehen".

Wir gratulieren!

Donnerstag, 9. Oktober 2008

"Horkheimer ... hat nichts Bedeutendes verfaßt"

Wenn Ralf Dahrendorf fünf Minuten spricht, sagt er mehr interessante Dinge als alle anderen deutschen Intellektuellen zusammengenommen ein ganzes Jahr lang. Die F.A.Z. hat mit ihm in ihrem Lesesaal gesprochen.

Hexxagon

Hexxagon ist ein wunderbares abstraktes Strategiespiel mit leichten Regeln. Die optimale Zerstreuung für anstrengende Bürotage. Viel Vergnügen!

Hexxagon made by Neave Games

BILD Dir Deine Meinung

a) Spiegel online

Schlagzeile: "IWF sagt deutscher Wirtschaft rasante Talfahrt voraus"

Im Text dann: "Die deutsche Wirtschaft werde 2009 überhaupt nicht mehr wachsen, sagt der IWF in seinem halbjährlichen Weltwirtschaftsausblick voraus. Für 2008 prognostizieren die Experten Deutschland noch ein Wachstumsplus von 1,8 Prozent."


b) Sogar noch mehr Schlagzeilenpanik bei der F.A.Z.:

Schlagzeile: "Weltwirtschaft am Rand des Abgrunds"

Im Text dann: "Das deutsche Wachstum werde sich auf 1,8 Prozent verlangsamen, hieß es am Mittwoch aus Washington ... In China beispielsweise sagt der IWF für 2009 ein Wachstum von 9,3 Prozent voraus, verglichen mit erwarteten 9,7 Prozent in diesem Jahr."

Dienstag, 7. Oktober 2008

Soldatenverarbeitung

Seit Anfang der 90er ist es sein sehnlichster Wunsch, nun geht Wolle Schäubles Traum vielleicht bald in Erfüllung: Die große Koalition der beiden Karnevalsvereinigungen hat sich darauf geeinigt, daß die Bundeswehr künftig auch im Inland eingesetzt werden kann. Dazu muß bloß dieses komische Gesetz angepaßt werden, bei dem ärgerlicherweise immer so viele Abgeordnete zustimmen müssen., wenn es geändert werden soll.

Wenn die Mullahs also bald mal eine schmutzige Bombe in Berlin zünden, kann der Alexanderplatz mit Panzern abgesperrt werden. Das erhöht das subjektive Sicherheitsempfinden der Bürger und steigert außerdem den Nutzwert des teuren Kriegsgeräts. Karlsruher Sicherheitskreise überlegen bereits, Ampelsünder künftig mit Tornados jagen zu lassen, wenn es Anhaltspunkte für einen islamistischen Hintergrund gibt.

Auch bislang rückte die Bundeswehr natürlich munter aus, wenn es gerade in den Kram paßte. Doch in Zeiten der globalen Irrungen erkennt die deutsche Politik, daß es ohne gesetzmäßige Ordnung nicht geht. Darum also der mühselige Weg über die Grundgesetzänderung.

Warum gesteht eigentlich niemand, daß Panzer auch Klimakiller sind? Dann wäre die politische Narretei doch perfekt.

Montag, 6. Oktober 2008

Man kriegt die Krise

Wenn man sich die deutsche Berichterstattung über die allgegenwärtige Finanzkrise anschaut, kommt man aus dem Staunen nicht mehr heraus. Weil der globale Kasinokapitalismus versagt habe, müsse endlich mehr reguliert werden? Die Liberalisierung habe sich als Irrweg erwiesen? Moment mal: Ausgangspunkt der ganzen Angelegenheit war der Hypothekenmarkt, sicher einer der reguliertesten Finanzmärkte in den USA. Die beiden zentralen Akteure waren Fannie Mae und Freddie Mac, sicher zwei der staatsnächsten Firmen im amerikanischen Finanzmarkt. Und einer der wichtigsten Krisenantreiber war die Niedrigzinspolitik der amerikanischen Notenbank. Und trotzdem soll wieder der böse Kapitalismus Schuld haben?

Letztlich haben sich doch alle Akteure so verhalten, wie Papa Staat es gewollt und belohnt hat: das eigene Häusle schön mit bis zu 130 Prozent des Schätzwertes beleihen, natürlich bei Fannie oder Freddie. Oder ein eigenes Haus bauen, auch wenn es das eigene Einkommen vielleicht gar nicht zuläßt (hier ein schöner Artikel der New York Times vom September 1999 über den Beitrag der Clinton-Regierung zur heutigen Krise).

Einen sehr schönen Kommentar gibt es wie so oft auch bei politplatschquatsch.

Freitag, 3. Oktober 2008

Jean-Paul Brodbeck

Da staunte nicht nur die Fachwelt: Ein Jazztrio aus dem frühen 21. Jahrhundert bearbeitet einige der schönsten Liedmelodien des späten 19. Jahrhunderts? Doch Jean-Paul Brodbeck gelang mit seinem Projekt Song of Tchaikovsky eine kleine Sensation. Das Erfolgsgeheimnis war vielleicht, die wunderschönen Melodien des großen Romantikers eben nicht durch zu viel Abstraktion zu entkräften, sondern sie in ihrer Schönheit stehen und wirken zu lassen.

Im Jazzclub Karlsruhe überzeugen die drei Tschaikowsky-Freunde von der ersten Minute an. Leider spielt Samuel Rohrer diesmal nicht mit, aber auch Andreas Pichler ist ein echter Könner seines Fachs.

Mal schauen, wann sich das erste Jazztrio an Ohrwürmer von Wolfgang Rihm wagt.

Donnerstag, 2. Oktober 2008

Aufgelesen (1)

"Ich sah dem Chef ins Gesicht und doch an seinem Gesicht vorbei nach draußen. Hinter ihm gab es ein großes Fenster, das den Blick auf eine belebte Straße freigab. In diesem Augenblick begann draußen ein Mann, ein neues Plakat auf eine Werbewand zu kleben. Es war ein riesiges buntes Plakat für eine neue Halbbitter-Schokolade. Es dauerte keine halbe Minute, dann war ich in das Wort halbbitter vertieft. Ich begriff, daß ich mich selbst in einer halbbitteren Situation befand."

Wilhelm Genazino, Eine Frau, eine Wohnung, ein Roman

Kindergeburtstag

Google bietet inzwischen ja praktisch alles an, seit kurzem sogar eine Zeitmaschine. Anläßlich des 10jährigen Firmenbestehens kann man nämlich im Google-Index von 2001 recherchieren und schauen, wie winzig damals noch das Internet war. Lustig ist die Google-Zeitleiste: Angeblich feiert man in Mountain View jedes Jahr gleich mehrere "Meilensteine". Vorbildlicher Wortgebrauch!

Mittwoch, 1. Oktober 2008

Wipfeltreffen

Björn löst sein Geburtstagsgeschenk ein: einen Tag im Kletterpark in Kandel. Die Aufgabenteilung in unserer Gruppe ist klar: Während die anderen in 10-15 Metern Höhe herumkraxeln, soll ich von unten die peinlichsten Momente fotografisch festhalten. Angstverzerrte, schreckensbleiche Gesichter - darauf bin ich aus. Doch leider kommt erstens alles anders, und zweitens als man denkt.

Nachdem sich alle mit Helm und Klettergeschirr ausgerüstet haben, trennt sich die Gruppe. Günther wählt die Seilrutsche und damit Parcours 9. Anke, Björn und Alex sind etwas vorsichtiger und entscheiden sich für die vergleichsweise harmlose Wackelbrücke über die Straße. Keine 2 Minuten später stellen sie jedoch erschrocken fest, daß es sich um den etwas kniffligeren Parcours 11 handelt. Tja, Vorsicht ist eben nicht immer die Mutter der Porzellankiste. Sondern manchmal auch die Tante oder gar die Großnichte.

Leider wollen mir während der Kletterei nicht die gewünschten Schnappschüsse gelingen. Alle bewegen sich beeindruckend professionell und zielstrebig durchs Geäst. Meine Enttäuschung ist groß, bis nach den 3 Stunden im Kletterpark das Gespräch irgendwie auf Dekadenz kommt. Alex gelingt mit einem kleinen Satz der große Wurf: "Nur reiche Länder können es sich noch erlauben, Müll wegzumschmeißen". Ich weiß bis heute nicht, ob der Gedanke unsinnig oder genial, empirisch oder fiktiv ist, aber immerhin rettet er mir den Tag.

Nach Zwischenstationen im Litfaß und bei Carlos beschließen wir den Tag mit Sponti-Kultur: Das Tübinger Harlekin-Theater präsentiert im Jubez seine Theatersportliche Impro-Show. Am besten gefällt mir das improvisierte Shakespeare-Stück Die Enterbung über einen Ritter, der nach langer Zeit in seine Heimat zurückkehrt und der rechtmäßigen Königin wieder auf den Thron hilft. Sie weint auf shakespearischste Art und Weise, und er fragt ebenso: "Was netzest Du Dein Aug'?" Natürlich kann es auch auf der Bühne keine Spontaneität ohne perfekte Vorbereitung geben, aber das Erstaunliche ist, daß man es der Truppe praktisch nicht anmerkt.

Björns Besuch endet am Sonntag mit einem Frühstück im Cielo in Durlach. Wir erleben weder eine Enterbung noch sonstige Machtspiele zwischen Königen, dafür aber ein Drama in besonders kleinem Stil: Die Bedienung hat mir die Nutella auf den Teller gelegt, die doch eigentlich Björn bestellt hat! Man muß das Auge nur für die richtigen Probleme schärfen, dann lebt man im allgemeinen ganz hervorragend.

Ceterum censeo

Alle schimpfen über billige Fotogalerien in Online-Medien, die stets nur einem einzigen Zweck dienen: Klicks sammeln, um Werbekunden mit enormen Nutzungszahlen zu beeindrucken. Die F.A.Z. bringt nun endlich einmal eine amüsante Klickstrecke. Horaz, Aristoteles & Co. kommentieren Phänomene des frühen 21. Jahrhunderts. Klickenswert!