Montag, 15. September 2008

Krieg, Kandel und Karlsruhe

Man muß die Provinz dann und wann am Glanz der Hauptstadt teilhaben lassen, sonst verliert sie die Lust an den Tributzahlungen. Was in der römischen Kaiserzeit galt, kann auch für unsere Republik nicht falsch sein. Vor dem Hintergrund dieser Überlegungen zieht es zwei Profiteure des Länderfinanz-ausgleichs nach Karlsruhe: Bernhard und Martin.

Das Wochenende startet friedlich im Besitos am Marktplatz. Man hat vom Weinbrenner zwar die Räumlichkeiten übernommen, aber nicht das Servicekonzept - eine weise Entscheidung. Und so werden wir freundlich, kompetent und schnell bedient; in diesem Haus ja eine ganz und gar ungewohnte Erfahrung. Später geht es weiter zu Carlos, seit einiger Zeit ja meine Lieblings-Cocktailbar in Karlsruhe (inzwischen habe ich von Guido erfahren, daß es im Grunde auch die einzige richtige Cocktailbar der Stadt ist, aber das müssen die Berliner ja nicht wissen). Erst um 4 Uhr sind wir zu Hause.

Am Samstag wird es dann ernst. Das Wochenende hat ja wie gewohnt die Weltherrschaft zum Thema, doch statt der ursprünglich geplanten Strategieklassiker Civilization oder Diplomacy greifen wir zu Wallenstein. Das vergleichsweise junge Spiel bringt den Dreißigjährigen Krieg herrlich authentisch ins Wohnzimmer: Alle bekriegen sich gegenseitig, und das hungrige Bauernpack muß am meisten leiden. Frank errichtet eine Gewaltherrschaft im Norden, Bernhard baut eine gigantische Drohkulisse am Rhein auf, und Martin und ich verwüsten tit-for-tat die bayerischen Lande. Toll!

Mit leerem Magen wird man auch des schönsten Krieges irgendwann überdrüssig. Am frühen Abend fahren wir also nach Kandel ins 3 Mohren, den anderen Hähnchenspezialisten der Pfalz. In den Fenstersimsen stehen überall glückliche Hühnerfiguren, aber wir fragen uns, ob das Haus in Hähnchenkreisen wirklich so beliebt ist? Egal. Die Hähnchen sind wie üblich knackig, und alle sind zufrieden - bis Bernhard eine bizarre Bitte äußert. Ob er denn mal einen gebratenen Gockel in der Küche fotografieren dürfe? Ehrfurchtsvoll blickt die Bedienung auf seine 6.000-Euro-Kamera und fragt vorsichtig, ob er Fotograf sei? Dem Künstler gelingt spontan eine fabelhaft-geheimnisvolle Antwort: "Unter anderem".

Nach knusprigen Hähnchen in der Pfalz dann das exakte Gegenteil: zeitgenössische Musik im ZKM. Matthias Ockert präsentiert sein neues Werk, die Komposition Primum Mobile. Wie bei so vielen zeitgenössischen Stücken steht auch hier nicht die Musik im Vordergrund, sondern ihr Entstehungsprozeß. Ockert hat für Primum Mobile auf Verfahren der Informatik zurückgegriffen, mit denen man die Zufallsverteilung der Töne oder Tonhöhen oder was auch immer kontrollieren kann. Das ist technisch natürlich alles sehr interessant, doch musikalisch leider auch weitgehend wertlos. Wie immer ist das Publikum begeistert, aber alles andere als frenetischer Applaus ist bei zeitgenössischer Musik ja auch gar nicht mehr denkbar. J'en ai marre!

Sonntag morgen begehe ich dann den großen Fehler des Wochenendes. Weil es so schön zentral liegt, schlage ich für unser Frühstück das Café Böckeler vor, das von allen denkbaren Eigenschaften eigentlich nur eine einzige vollkommen besitzt: Authentizität. Und so bekommen unsere Berliner kurz vor Schluß noch den Eindruck, daß Karlsruhe nicht nur so heißt, sondern auch so ist.

1 Kommentar:

  1. Kein Wunder, wenn sie meinen, eine Firmen-"Philosophie" haben zu müssen, die ihrer "Lebensauffasung" entspricht. Doch, so steht's da.

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