Alt-Heidelberg, du feine
Auch als glühendster Lokalpatriot muß man eine bittere Wahrheit einsehen: Karlsruhes Einkaufslandschaft entspricht seiner Architektur - sie ist ohne jede Originalität. Wenn man nett Geld ausgeben und dabei in der Region bleiben möchte, muß man das folglich in Freiburg tun. Oder in Heidelberg, wenn dort nicht gerade Touristenschwemme herrscht. Zum Beispiel jetzt.
Nach einer entspannten Bahnfahrt beginnen wir konzentriert mit unseren Shopping-Aktivitäten und klappern alle Läden ab, in denen ab März nur noch Japanisch oder Amerikanisch gesprochen wird. Natürlich schauen wir auch kurz beim Schloß vorbei - und sind entsetzt. Der Park wirkt inzwischen, als stünde er in Schleswig-Holstein oder einem anderem Nehmerbundesland: Risse und Schimmelflecken in den Mauern, gesperrte (weil baufällige) Treppen, unterspülte und daher abgesackte Wege ... Quo vadis, Musterländle?
Auf dem Rückweg zum Bahnhof entdecken wir noch ein Plakat des Theaters Heidelberg: Noch bis April wird Oscar Wildes Meisterstück gespielt, allerdings in der Jelinek-Fassung. Nun fehlt Jelinek ja erkennbar jedes Gespür für Literatur - ob man sich das antun sollte? Auf jeden Fall! empfiehlt uns eine freundliche Heidelbergerin, die unsere Diskussion verfolgt hat. Das Stück sei sehr amüsant, trotz Jelinek!
Dann geht es wieder nach Hause. Die drei Jugendlichen neben uns in der Bahn haben einen Migrationshintergrund und zudem ein tolles Spielzeug: einen MP3-Player mit integrierten Lautsprechern. Ihre Lieblingsmusik definiert sich offenbar weniger durch Polymetrik und polytonale Klangfarbe als durch erstaunlichen hohen Schalldruck. Das wirft einige Fragen auf, zum Beispiel: Kann man die Jugend auf die Lärmbelästigung ansprechen? Oder riskiert man dadurch ein zweites München? Wir wagen zitternd Zivilcourage und stoßen ganz unerwartet auf Verständnis. So schlimm kann es ums Musterländle also doch noch nicht bestellt sein.
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