Mittwoch, 16. April 2008

Nil et nil

Kairo, Perle des Orients10 Tage Ägypten. Der erste Eindruck: Das Einstromland ähnelt Chile stärker als Chile sich selbst. Denn im Grunde ist das Ländchen nur ein paar Kilometer breit. In der Mitte ein bißchen Nil, links und rechts davon eine Menge Sand. T.I.E., this is Egypt (übrigens eine beliebte ägyptische Erklärung für alle möglichen Ärgernisse).

Wir starten in Kairo (im Bild: der wunderschöne Stadtteil Al-Doqqi) und schauen uns zunächst das berühmte Opernhaus an, den Stolz des gesamten Morgenlandes. Pikanterweise wird auf dem Gelände über Lautsprecher ausgerechnet der Gipfelpunkt abendländischen Musikschaffens gespielt, das Allegro aus Beethovens Neunter - den ganzen Tag lang. Man steht vor dem Gipfel, kann ihn aber nie ganz erklimmen, wie symptomatisch! Überhaupt sind die Ägypter große Musikliebhaber, vielleicht sogar die größten Freunde improvisierter Musik überhaupt. So wird in Kairo jeden Tag von Millionen Freiwilligen das größte Hupkonzert der Welt gegeben, hinzu kommt 5x täglich über Tausende Lautsprecher atonaler, polymetrischer Sprechgesang, der auch dem aufgeklärtesten Jazzclub Europas alle Ehre machen würde.

Auch sonst legt man in Ägypten größten Wert auf Rationalität. Während man im Westen Abfall verschämt auf speziellen Müllkippen entsorgt, plaziert man ihn in Kairo souverän und ehrlich im öffentlichen Raum. Der Abfall wird auf diese Weise tatsächlich zur res publica, wo gäbe es sowas bei uns? Doch auch im marktliberalen Denken sind uns die Ägypter weit voraus: Die gängige Begrüßung lautet heutzutage "Very cheap, sir!".

Als erstes stehen natürlich die Pyramiden auf dem Plan. Gewiß, zwei Millionen Steinblöcke aufzustapeln ist eine bewundernswerte Fleißarbeit. Architektonisch hat mich das alles aber noch nie überzeugt. Mit 1 Promille der Materialmenge einen kolossalen Eindruck erzeugen, das ist die wahre Kunst, siehe etwa Karnak!

Raus aus der Grabkammer, rein in den Nachtzug nach Assuan. Findige Ingenieure der Staatsbahn haben einen Kniff gefunden, um wißbegierigen Reisenden die Besonderheit des Wüstenklimas zu verdeutlichen: Nachts wird die Klimaanlage ein- und tagsüber ausgeschaltet, toll! Wir kommen trotzdem lebendig in Assuan an, gucken uns Abu Simbel an und begeben uns dann auf unser Kreuzfahrtschiff. Auf einmal saubere Luft und Ruhe in Ägypten, erstaunlich! Wir haben das Sonnendeck für uns allein, stundenlang ziehen idyllische Palmenlandschaften vorbei. Kühe grasen auf Nilinseln, und manche dieser Inseln sind so grün und saftig, daß man beinahe gern selbst eine Kuh wäre! Doch dann wird über Lautsprecher eine Schleuse angekündigt, und plötzlich steht das halbe Schiff auf dem Deck, Industrieromantik begaffen. Ist das nun Loriot oder Monty Python?

In Edfu gibt es eine Lektion in frühchristlicher Konsequenz. Die Christen hatten zwar kein Problem damit, in diesem beeindruckenden heidnischen Tempel zu leben, fürchteten sich aber vor den Pharaonenreliefs und mußten sie daher von den Wänden kratzen? Verstehe einer unsere Ikonoklasten!

Von Luxor reiten wir auf Eseln ins Tal der Könige, den Ort mit dem heißesten Nachleben der Welt. Schon nach wenigen Metern stelle ich eine Wesensverwandschaft zwischen mir und meinem stolzen Tier fest: Unerschrocken und beharrlich geht es seinem Ziel entgegen! Wir kommen in bester Grabesstimmung an und ziehen ein Fazit. Die großen Pyramiden bei Gizeh - ausgeraubt. Die kleinen Pyramiden überall im Lande - ebenfalls ausgeraubt. Die Grabkammern im Tal der Könige - auch ratzekahl leer! Das Beste ist am Ende wohl, gar nicht erst zu sterben, vor allem nicht als Pharao.

Nach Ende der Kreuzfahrt gönnen wir uns noch zwei Tage zum, naja, Entspannen in Kairo. Praktischerweise liegt die syrische Botschaft direkt neben unserem Hotel, was vielleicht einen gewissen Schutz vor Bombenanschlägen bietet. Aber was passiert, passiert eben. Nach ein paar Tagen Ägypten gewöhnt man sich sogar an den Fatalismus, wohl die idiotischste aller Weltanschauungen.

Fazit: In Ägypten gibt es tolle alte Steine zu besichtigen, aber leider ist in den letzten (sagen wir mal: 1.500) Jahren nicht allzuviel Interessantes hinzugekommen. Immerhin haben wir zwei nette Läden ausfindig gemacht, die man unbedingt besucht haben sollte: den Fair-Trade-Shop von Sehnaz Dogan in Luxor und die wunderbare Aroma Lounge über den Dächern von Kairo.

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