Viele halten Franz Liszt ja für einen Trivialmusiker, und überwiegend wohl auch zu recht. Einige hörenswerte Werke hat er uns aber immerhin hinterlassen, nämlich die Klaviertranskriptionen zu Beethovens Symphonien. Leider werden die Stücke extrem selten aufgeführt. Am 25. November sollte die Neunte aber endlich mal wieder in ihrer Klavierfassung gespielt werden, und zwar im Zuge einer Matinee im KKL in Luzern. Grund genug also, für einen Tag in die Schweiz zu fahren.
Leider war schon seit längerem bekannt, daß Luzern an diesem Tag ohne seine Hauptattraktion auskommen mußte: Myrta war rechtzeitig ins Wallis geflüchtet. Nun ist aber bekanntlich Luzern selbst ohne dieses Mädchen ein wunderschönes Städtchen - also nichts wie hin!
Bereits kurz hinter Grenze der erste Kontakt mit eidgenössischen Gepflogenheiten: Die Schweizer Bundesbahn läßt ICEs in Basel absichtlich ein Viertelstündle warten, um mögliche Verspätungen der deutschen Kollegen auszugleichen. Aus Diskretion spricht man natürlich nicht darüber, aber man kennt ja seine Pappenheimer! Wie immer fährt der Zug über Olten, und wie immer kommt mir der einzigartige Werbespruch dieser Stadt in den Sinn: "Fast so lebendig wie Luzern, aber grüner!". Bedauerlicherweise stimmt in diesem Satz nur ein einziges Wort, nämlich "fast".
Nach der Ankunft in Luzern dann eine angenehme Überraschung: Beethovenwetter! Ich spaziere noch eine Viertelstunde am See entlang und begebe mich dann ins KKL. Die Unterschiede zu Baden-Baden: Das KKL ist kleiner, die Sitze sind bequemer, die Architektur ist außen dramatischer und innen frischer. Außerdem scheint die Personalstruktur insgesamt schweizerischer zu sein - alle fünf Meter schützt ein Sicherheitsmann das Publikum vor allerlei Unbill. Apropos Publikum: Auch hier gehört man zu einer Minderheit, wenn man jünger als 60 Jahre ist.
Im Konzertsaal komme ich mit dem Ehepaar auf den Nachbarplätzen ins Gespräch. Er ist als Sänger früher selbst im KKL-Vorgänger aufgetreten, sie flüchtete 1968 aus Prag in die Schweiz. So kommen wir natürlich auf die Unerträgliche Leichtigkeit des Seins zu sprechen. Die Dame hält aber weder dieses noch irgendeines der anderen Bücher von Kundera für lesenswert. Später stellt sich heraus, daß sie eine alte Freundin von ihm ist.
Dann beginnt das Konzert. Der Pianist spielt zunächst einige gefällige Tschaikowsky-Bagatellen und wagt sich nach der Pause an den Gipfel abendländischen Musikschaffens. Das Allegro halten wir alle für unspielbar, aber der gute Mann kämpft sich trotz einiger verschwommener Passagen mit Liszt und Tücke durch den mächtigen Strom. Das anschließende Molto vivace erweist sich ganz überraschend als eines der besten Werke, die niemals für Klavier geschrieben worden sind. Respekt auch für die Leistung im Adagio, das natürlich etwas unter der fehlenden Streichergrundierung leidet. Nach dem furiosen Presto dann Raunen im Publikum: Er spielt auch den Schlußchor! Am Ende ist das Publikum begeistert und feiert den Pianisten ganz unschweizerisch mit Bravos, Standing ovations und insgesamt fünf Aufgängen. Konstantin Scherbakow - ein Name, den man sich - auch in Berlin! - wird merken müssen.
Nach dem Konzert habe ich noch etwas Zeit, bis mein Zug fährt. Also setze ich eine junge Tradition fort und gönne mir Chügeli-Paschtetli (SFr 29,80) in der gemütlichen Taube. Der Ober (übrigens ein Dresdner) empfiehlt mir dazu einen Luzerner Blauburgunder (SFr 7,00), der sich allerdings schon bei früheren Anlässen als etwas dünn erwiesen hat. Aus Solidarität nehme ich sein Angebot an. Immerhin geht es ja nicht um ein Viertele, sondern lediglich um 0,1 l.
Am frühen Abend trete ich den wohlgeordneten Rückzug an. Spätestens zu Ostern geht es hoffentlich wieder nach Luzern.