Mein Lieblingsgericht
Karlsruher Verfassungsgespräche im Bundesverfassungsgericht! Wir hatten zufällig Karten aufgegabelt und lassen die Chance natürlich nicht ungenutzt verstreichen. Immerhin soll es um "Religionsfreiheit und Integration" gehen, seit Jahren ja ein heißes Eisen.
Apropos Eisen: Von der Bundespolizei - "Sie sind Bürger?" - werden wir zu Tür 2 geschleust, also dem Eingang mit Metalldetektor und Flughafenschleuse. Geladene Gästen dürfen Tür 1 benutzen und müssen nur ihren Personalausweis vorzeigen. Schon mal eine tolle Geste!
Als wir den Saal des Verfassungsgerichts betreten wollen, werden wir von einem Mitarbeiter - "Sie haben Bürgerkarten?" - dezent auf unsere Plätze hingewiesen: in der 1. Etage, außerhalb des Saals und von diesem durch Glasscheiben getrennt. Immerhin sind Lautsprecher aufgestellt. Klasse, wir können also sogar mithören, was drinnen gesprochen wird!
Und dann geht es auch schon los. Hans-Jürgen Papier eröffnet den Abend mit einer gähnend langweiligen Erörterung der Religionsfreiheit im Grundgesetz. Anschließend spricht der König zum Volk, Karlsruhe als Hort der Freiheit usw. Kurz vor dem Einschlummern betreten die Gladiatoren die Bühne: Ali Ertan Toprak, Ayyub Axel Köhler, Bischof Huber, Kardinal Lehmann, Ex-Verfassungsrichter Dieter Grimm, Luzius Wildhaber (ehemaliger Präsident des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte) und natürlich Wolle Schäuble.
Die Diskussion gleitet schnell in Kleinthemen ab. Muß man denn heute immer noch über den belanglosen Kopftuchstreit reden? Ein wenig interessant wird es erst, als Schäuble sein Verständnis von staatlicher Neutralität konkretisiert. Ja, natürlich, für den Staat seien alle Religionen gleich. Aber ein Kreuz im Klassenzimmer sei doch etwas ganz anderes als ein Kopftuch im Klassenzimmer! Unsere Verfassung basiere auf christlichen Werten, ein Angriff aufs Kreuz wäre vielleicht auch ein Angriff aufs Grundgesetz usw. Das Interessante: Dieser offensichtliche Quatsch ist ihm nicht einmal peinlich. Er ist eben Politprofi durch und durch.
Schade, daß wirklich wichtige Themen nicht angeschnitten werden. Was ist zum Beispiel von einer Religionsfreiheit zu halten, bei der praktisch alle Menschen ihre Religionszugehörigkeit von ihren Eltern erben? Müßte der Staat im Sinne einer echten Religionsfreiheit nicht etwas gegen diese enorme kindliche Prägung unternehmen? Und warum genießen Religionen Sonderrechte gegenüber allen anderen Weltanschauungen? Gotteslästerung kann bestraft werden, Nietzsche-Lästerung aber zum Beispiel nicht (Gott sei Dank!). Echte staatliche Neutralität sieht doch wohl anders aus.
Leider müssen wir die Veranstaltung wegen einer anderen Verpflichtung vorzeitig verlassen. Wir verpassen also das Beste: die Häppchen. Ein Gericht im Gericht, das wäre es doch mal gewesen.
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