Montag, 28. April 2008

Berliner Luft

Man traut dem Leben ja heute gar nicht mehr zu, wie absurd es mitunter sein kann. Glücklicherweise gibt es Bernhard, den Experten für Randgruppen-Mainstream. Schon seit langem bekämpft er die Normalität mit seiner sogenannten "euphorischen Parodie", die man gut und vor allem gern auch Tarntrivialität nennen kann. Nun also seine erste Hauptstadt-Ausstellung - Wehret den Anfängern!

Alles beginnt im großen und ganzen seriös. Wir treffen uns am Samstag zum Frühstück in der Bergmannstraße, angeblich im Café Kult (das meiner Meinung doch eigentlich wohl Knofi heißt, aber das tut offenbar nichts zur Sache). Dabei treffe ich zufällig Karo, die zwei Tische weiter frühstückt - Berlin ist eben doch ein Dorf bzw. eine Ansammlung von Dörfern. Ebenso zufällig habe ich meine prestigeträchtige UMTS-Karte dabei, und so kann uns Hildebrand im schönsten Sonnenschein mit anregenden Motivationsvideos unterhalten.

Doch der Abend rückt unaufhaltsam näher. Eine Prise Stalinismus kann großer Kunst gewiß nicht schaden, und so hat sich Bernhard für den Ausgangspunkt seiner öffentlichen Wirksamkeit die wunderhübsche Frankfurter Allee ausgesucht, genauer gesagt das Café Tasso. Normalerweise finden dort zum Beispiel Antroposophie-Einführungskurse statt ("Bringt Eure Lebensfragen mit, also Euch selbst!"). Na, den Steiner-Jüngern werden wir es zeigen!

Noch vor der Eingangstür kommt es zur unvermeidlichen Begegnung mit Christine, Bernhards Theorietrainerin. Sie spricht genau das Thema an, das ich befürchtet habe: Jelinek. Ich solle mich endlich mal mit ihrem (= Elfriedes, nicht Christines!) Frühwerk beschäftigen, dann würde ich meine Meinung wohl ändern. Außerdem habe sie (= Christine, nicht Elfriede!) stets Zweifel an meiner Existenz gehabt. Als guter Cartesianer kann ich den Vorwurf natürlich schnell und logisch konzise abwehren: "Ich existiere, also bin ich!" Erstaunlicherweise bringt Christine nicht den naheliegenden Kantschen Konter, daß Existenz kein Prädikat sei. Was ist bloß mit der Theoriefestigkeit unserer Theoretiker los!

Unvermeidbar ist wenig später auch der Beginn der Vernissage. Concerto Brandenburg hat vier Blechbläser geschickt, die die Veranstaltung gewissermaßen mit militärischen Ehren eröffnen. Die Konstrastierung zu Bernhards Scherzplakaten ist perfekt, die künstlerische Stimmung unter den etwa 40 Besuchern außerordentlich schwer auf einen Begriff zu bringen. Noch während der musikalischen Darbietung bittet Bernhard mich nachdrücklich, tatsächlich eine Einführungsrede zu halten. Über Trivialität! Das ist natürlich ein enorm komplexes Thema, und so stottere ich einige lose Versatzstücke zusammen, die aber den Exponaten irgendwie dennoch angemessen sind. Leider wird von Tom alles erbarmungslos gefilmt. Übrigens haben sowohl der Bundespräsident als auch Klaus Staeck ihr Kommen ausdrücklich ausgeschlossen - ein Votum gegen das Triviale? Auch Schlingensief ist nicht da, aber ihm soll es momentan ja auch sehr schlecht gehen.

Am nächsten Morgen ist der Spuk vorbei. Auf der Rückfahrt erarbeitet sich unser ICE 30 Minuten Verspätung wegen Schafen im Gleis. Und so klingt das Wochenende mild-absurd aus.

Mittwoch, 23. April 2008

Ehrbar ist, wer wehrbar ist

Natürlich leben wir heute alle unter dem stetig wachsenden Dach einer europäischen Leitkultur. Noch aber gibt es überall einen nationalen Kulturkern, der die regionale Welt im Innersten zusammenhält. In Frankreich ist dies zum Beispiel seit einigen Jahren die Foie gras, in Deutschland peinlicherweise verschiedene internationale Spiele deutscher Fußballmannschaften (zumindest laut Rundfunkstaatsvertrag).

Nur unsere Eidgenossen gehen natürlich wieder einmal einen Sonderweg. Seit Morgarten definiert man sich in der Schweiz über die Hauswaffe (heute ein Sturmgewehr). Getreu dem bekannten Spruch, daß die Schweiz keine Armee habe, sondern eine sei. Doch wie lange noch?

Ach ja: Alle Angaben natürlich ohne Gewehr.

Sonntag, 20. April 2008

Wieso, weshalb, warum?

Das Wochenende klingt mit einer merkwürdigen semantischen Frage aus: Worin besteht eigentlich der Unterschied zwischen den Fragewörtern "wieso", "weshalb" und "warum"? O.K., "warum" fragt nach der Ursache, "wieso" und "weshalb" nach dem Ziel. Warum fällt diese Vase herunter? Weil die Schwerkraft sie nach unten zieht. Weshalb fällt sie herunter? Weil ich sie zerdeppern möchte.

Aber gibt es einen Unterschied zwischen "weshalb" und "wozu"? Falls jemand Bescheid weiß, bitte melden. Vielleicht klopfe ich auch einfach mal bei der Duden-Sprachberatung an ...

Mittwoch, 16. April 2008

Nil et nil

Kairo, Perle des Orients10 Tage Ägypten. Der erste Eindruck: Das Einstromland ähnelt Chile stärker als Chile sich selbst. Denn im Grunde ist das Ländchen nur ein paar Kilometer breit. In der Mitte ein bißchen Nil, links und rechts davon eine Menge Sand. T.I.E., this is Egypt (übrigens eine beliebte ägyptische Erklärung für alle möglichen Ärgernisse).

Wir starten in Kairo (im Bild: der wunderschöne Stadtteil Al-Doqqi) und schauen uns zunächst das berühmte Opernhaus an, den Stolz des gesamten Morgenlandes. Pikanterweise wird auf dem Gelände über Lautsprecher ausgerechnet der Gipfelpunkt abendländischen Musikschaffens gespielt, das Allegro aus Beethovens Neunter - den ganzen Tag lang. Man steht vor dem Gipfel, kann ihn aber nie ganz erklimmen, wie symptomatisch! Überhaupt sind die Ägypter große Musikliebhaber, vielleicht sogar die größten Freunde improvisierter Musik überhaupt. So wird in Kairo jeden Tag von Millionen Freiwilligen das größte Hupkonzert der Welt gegeben, hinzu kommt 5x täglich über Tausende Lautsprecher atonaler, polymetrischer Sprechgesang, der auch dem aufgeklärtesten Jazzclub Europas alle Ehre machen würde.

Auch sonst legt man in Ägypten größten Wert auf Rationalität. Während man im Westen Abfall verschämt auf speziellen Müllkippen entsorgt, plaziert man ihn in Kairo souverän und ehrlich im öffentlichen Raum. Der Abfall wird auf diese Weise tatsächlich zur res publica, wo gäbe es sowas bei uns? Doch auch im marktliberalen Denken sind uns die Ägypter weit voraus: Die gängige Begrüßung lautet heutzutage "Very cheap, sir!".

Als erstes stehen natürlich die Pyramiden auf dem Plan. Gewiß, zwei Millionen Steinblöcke aufzustapeln ist eine bewundernswerte Fleißarbeit. Architektonisch hat mich das alles aber noch nie überzeugt. Mit 1 Promille der Materialmenge einen kolossalen Eindruck erzeugen, das ist die wahre Kunst, siehe etwa Karnak!

Raus aus der Grabkammer, rein in den Nachtzug nach Assuan. Findige Ingenieure der Staatsbahn haben einen Kniff gefunden, um wißbegierigen Reisenden die Besonderheit des Wüstenklimas zu verdeutlichen: Nachts wird die Klimaanlage ein- und tagsüber ausgeschaltet, toll! Wir kommen trotzdem lebendig in Assuan an, gucken uns Abu Simbel an und begeben uns dann auf unser Kreuzfahrtschiff. Auf einmal saubere Luft und Ruhe in Ägypten, erstaunlich! Wir haben das Sonnendeck für uns allein, stundenlang ziehen idyllische Palmenlandschaften vorbei. Kühe grasen auf Nilinseln, und manche dieser Inseln sind so grün und saftig, daß man beinahe gern selbst eine Kuh wäre! Doch dann wird über Lautsprecher eine Schleuse angekündigt, und plötzlich steht das halbe Schiff auf dem Deck, Industrieromantik begaffen. Ist das nun Loriot oder Monty Python?

In Edfu gibt es eine Lektion in frühchristlicher Konsequenz. Die Christen hatten zwar kein Problem damit, in diesem beeindruckenden heidnischen Tempel zu leben, fürchteten sich aber vor den Pharaonenreliefs und mußten sie daher von den Wänden kratzen? Verstehe einer unsere Ikonoklasten!

Von Luxor reiten wir auf Eseln ins Tal der Könige, den Ort mit dem heißesten Nachleben der Welt. Schon nach wenigen Metern stelle ich eine Wesensverwandschaft zwischen mir und meinem stolzen Tier fest: Unerschrocken und beharrlich geht es seinem Ziel entgegen! Wir kommen in bester Grabesstimmung an und ziehen ein Fazit. Die großen Pyramiden bei Gizeh - ausgeraubt. Die kleinen Pyramiden überall im Lande - ebenfalls ausgeraubt. Die Grabkammern im Tal der Könige - auch ratzekahl leer! Das Beste ist am Ende wohl, gar nicht erst zu sterben, vor allem nicht als Pharao.

Nach Ende der Kreuzfahrt gönnen wir uns noch zwei Tage zum, naja, Entspannen in Kairo. Praktischerweise liegt die syrische Botschaft direkt neben unserem Hotel, was vielleicht einen gewissen Schutz vor Bombenanschlägen bietet. Aber was passiert, passiert eben. Nach ein paar Tagen Ägypten gewöhnt man sich sogar an den Fatalismus, wohl die idiotischste aller Weltanschauungen.

Fazit: In Ägypten gibt es tolle alte Steine zu besichtigen, aber leider ist in den letzten (sagen wir mal: 1.500) Jahren nicht allzuviel Interessantes hinzugekommen. Immerhin haben wir zwei nette Läden ausfindig gemacht, die man unbedingt besucht haben sollte: den Fair-Trade-Shop von Sehnaz Dogan in Luxor und die wunderbare Aroma Lounge über den Dächern von Kairo.

Dienstag, 15. April 2008

Nieten

Wissenschaftler haben jetzt herausgefunden, daß Nieten den Untergang der Titanic zu verantworten haben. Das war doch aber schon immer klar.

Montag, 14. April 2008

Nik Bärtschs Ronin

Defätismus ist wahrscheinlich die bequemste aller Positionen, auch in der Musik. An die Höhenflüge des 18. und 19. Jahrhunderts kommen wir sowieso nicht mehr heran, oder? Und wenn wir uns trotzdem ins 20. Jahrhundert wagen: Wirkliche musikalische Innovation gab es doch zuletzt in den 60er, allenfalls noch 70er Jahren. Oder etwa nicht?

Wohl eher nicht. Wie in praktisch allen Bereichen geht auch in der Musik alles den Bach rauf. Vielleicht gab es nie mehr neue Entwicklungen als heute, auch wenn sie sich schlechter einsortieren lassen als früher. Beispiel Jazz: E.S.T. und Nils Petter Molvær gehören beinahe ja schon zur klassischen Moderne, aber auch The Bad Plus oder das Karlsruher Kammerflimmer Kollektief sind Bands, die die musikalische Formensprache ungemein bereichert haben und hoffentlich noch lange bereichern. Oft geht es darum, einzelnen Instrumenten neue Aufgaben zuzuweisen - oder moderne musikalische Entwicklungen mit kammermusikalischen Traditionen zu verbinden.

Zu den Vorreitern gehört sicher auch der Zürich-Berliner Nik Bärtsch mit seinem Projekt Ronin. Seine Kompositionen wirken sphärisch und werden von repetitiven Strukturen getragen, zeichnen sich jedoch durch gelegentliche drastische Phasenübergänge aus, in denen die Musik ihren Charakter schlagartig ändert. Bärtschs Musik ist komplex, gefällt aber auch im unmittelbaren Eindruck - ein Kennzeichen großer Musik.

Sein Konzert im Jazzclub Karlsruhe wurde dementsprechend zu einem umjubelten Erfolg. Zwei Zugaben, das muß man im Jazzclub erst mal nachmachen! Sensationell der Perkussionist Andi Pupato und Sha an Bassklarinette & Altsaxophon. Doch auch die absichtlich überrissene Akustik trug zu einem ganz besonders radikalen Klangerlebnis bei. Die Aufnahmen auf ECM sollen wesentlich weicher und damit langweiliger sein ...

Wer Bärtsch mal live erleben kann: unbedingt hingehen!

Oxfamos

Oxfam, die Kämpfer für globale Gerechtigkeit, haben in einer Studie wieder einmal herausgefunden, warum Menschen in der Dritten Welt arm sind: Die bösen Westler kaufen bei ihnen zu günstige Waren. Das Boulevardmagazin Spiegel online druckt den Quatsch natürlich wieder einmal ohne mit der Wimper zu zucken ab. Angeblich würden die fünf größten Supermärkte in Deutschland für 70 % des Fruchteinkaufs stehen. Hallo? Schon mal was von den USA, Frankreich, Großbritannien oder China gehört? Kaufen die Unternehmen aus diesen Ländern auf den Weltmärkten gar keine Früchte ein?

Die wesentlichen Gründe für Armut (nämlich Korruption, erdrückende Bürokratie und mangelnde Eigentumsrechte in vielen Entwicklungsländern) interessieren Oxfam natürlich nicht. Dabei würde ein Blick in die Wirtschaftsgeschichte Japans, Südkoreas, Chinas, Taiwans oder Hong Kongs schnell zeigen, daß Fair Trade und ähnliche Späße den Menschen vor Ort nichts bringen. Dafür aber umso mehr den Organisationen, deren Lebenselixier das schlechte Gewissen vieler Menschen in der industrialisierten Welt ist.

Oxymoron des Tages

Hard Rock Cafe Baden-Baden - wäre das nicht mal eine gastronomische Innovation?

Sonntag, 13. April 2008

Ausflug in die Pfalz

Spontane Einkaufstour in den Westen! Die erste Station ist Lauterbourg, wo wir uns reichlich mit französischen Kulturgütern eindecken (u.a. crème aux œufs). Dann geht es weiter ins schöne Schweigen zu den üblichen Verdächtigen. Nachdem sich der Portugieser der Bernharts ja vor einiger Zeit schwerste Kritik gefallen lassen mußte, bin ich auf der Suche nach Alternativen. Die St.-Laurent-Spätlese entpuppt sich in der gemütlichen Probierstube des Weinguts als überraschend feines Tröpfchen mit ungewöhnlichen Aromen (gekochte Pflaume? Rumtopf?), da muß ich doch glatt mal einen Experimentierkarton für zu Hause mitnehmen. Leider muß man für die Flasche 14,50 Euro zahlen. In Frankreich bekommt man für das Geld schon richtig tolle Weine - mal schauen, wie sich der St. Laurent entwickelt ...

Nach einem Schlenker zur Burg Trifels geht es dann zurück in die badische Metropole. Man kann ja sagen, was man will, aber die Pfalz ist wirklich das Beste an Karlsruhe.

Donnerstag, 10. April 2008

Miklin + Miklin = Miklin

Nach 30 Jahren und zahllosen Auftritten in den großen Jazzclubs dieser Welt wagt Karlheinz Miklin mit seinem Karlheinz Miklin Trio nun den Neubeginn. Und zwar mit ... Karlheinz Miklin. Dem Junior, am Schlagzeug. Praktisch, wenn man neue Wege mit Bewährtem gehen kann!

Die Zuhörer im Jazzclub Karlsruhe sind jedenfalls schon nach wenigen Takten gefesselt von dem druckvollen Trio. Bei Ewald Oberleitners spanisch-temperamentvollen Bass-Solo im Stück La pregunta bleibt uns allen die Luft weg: Die Saiten mit einem Schlagzeugschlegel zu bearbeiten, das ist mal außerwöhnlich - und klingt auch so. Wenig später kann dann auch Miklin jr. in seinem Schlagzeugsolo zeigen, was alles in ihm steckt.

Kurz vor der Halbzeit kündigt der Senior schließlich den letzten Titel an, der sich für mich wie "Ski Drive" anhört. In der Pause klärt mich Florian auf, der Titel hieße "Cheat Wife". Ein Blick auf die neue CD Family Affair bringt Aufklärung: Es handelt sich um das Stück "G Drive".

Montag, 7. April 2008

Haydnspaß

Geistliches Konzert in der Pfarrkirche St. Elisabeth - und Monikas Chor ist mit von der Partie! Das müssen wir uns natürlich anhören. Als Entree präsentiert man uns Haydns beschwingtes Konzert für Violoncello und Orchester (Hob. VIIB:1). Das Kammerorchester Weiherfeld bringt eine ordentliche Leistung, aber beim Solisten sind wir uns unsicher: Ist er schlecht gestimmt - oder sein Cello? Die akustischen Verhältnisse erlauben allerdings keine genauere Analyse, da sich Kirchen ja nun wirklich nicht für Musikaufführungen eignen (in diesem - und wahrscheinlich nur in diesem - Aspekt gleichen sie U-Booten und Atombunkern).

Dann der Hauptgang: Haydns Theresienmesse. Ich halte Messen grundsätzlich ja für keine gelungene musikalische Form, aber immerhin sind sie ein guter Vorwand für einen Komponisten, wenn er mal wieder einen Chor einbauen möchte. Und das ist Haydn ohne jeden Zweifel ausgezeichnet gelungen, es gibt einige wunderbare Klangeindrücke. Am Ende sind wir uns alle einig: Die Sopranistin Myriam Dewald war der Höhepunkt des Abends. Abgesehen von Monika, natürlich.