Berliner Luft
Man traut dem Leben ja heute gar nicht mehr zu, wie absurd es mitunter sein kann. Glücklicherweise gibt es Bernhard, den Experten für Randgruppen-Mainstream. Schon seit langem bekämpft er die Normalität mit seiner sogenannten "euphorischen Parodie", die man gut und vor allem gern auch Tarntrivialität nennen kann. Nun also seine erste Hauptstadt-Ausstellung - Wehret den Anfängern!
Alles beginnt im großen und ganzen seriös. Wir treffen uns am Samstag zum Frühstück in der Bergmannstraße, angeblich im Café Kult (das meiner Meinung doch eigentlich wohl Knofi heißt, aber das tut offenbar nichts zur Sache). Dabei treffe ich zufällig Karo, die zwei Tische weiter frühstückt - Berlin ist eben doch ein Dorf bzw. eine Ansammlung von Dörfern. Ebenso zufällig habe ich meine prestigeträchtige UMTS-Karte dabei, und so kann uns Hildebrand im schönsten Sonnenschein mit anregenden Motivationsvideos unterhalten.
Doch der Abend rückt unaufhaltsam näher. Eine Prise Stalinismus kann großer Kunst gewiß nicht schaden, und so hat sich Bernhard für den Ausgangspunkt seiner öffentlichen Wirksamkeit die wunderhübsche Frankfurter Allee ausgesucht, genauer gesagt das Café Tasso. Normalerweise finden dort zum Beispiel Antroposophie-Einführungskurse statt ("Bringt Eure Lebensfragen mit, also Euch selbst!"). Na, den Steiner-Jüngern werden wir es zeigen!
Noch vor der Eingangstür kommt es zur unvermeidlichen Begegnung mit Christine, Bernhards Theorietrainerin. Sie spricht genau das Thema an, das ich befürchtet habe: Jelinek. Ich solle mich endlich mal mit ihrem (= Elfriedes, nicht Christines!) Frühwerk beschäftigen, dann würde ich meine Meinung wohl ändern. Außerdem habe sie (= Christine, nicht Elfriede!) stets Zweifel an meiner Existenz gehabt. Als guter Cartesianer kann ich den Vorwurf natürlich schnell und logisch konzise abwehren: "Ich existiere, also bin ich!" Erstaunlicherweise bringt Christine nicht den naheliegenden Kantschen Konter, daß Existenz kein Prädikat sei. Was ist bloß mit der Theoriefestigkeit unserer Theoretiker los!
Unvermeidbar ist wenig später auch der Beginn der Vernissage. Concerto Brandenburg hat vier Blechbläser geschickt, die die Veranstaltung gewissermaßen mit militärischen Ehren eröffnen. Die Konstrastierung zu Bernhards Scherzplakaten ist perfekt, die künstlerische Stimmung unter den etwa 40 Besuchern außerordentlich schwer auf einen Begriff zu bringen. Noch während der musikalischen Darbietung bittet Bernhard mich nachdrücklich, tatsächlich eine Einführungsrede zu halten. Über Trivialität! Das ist natürlich ein enorm komplexes Thema, und so stottere ich einige lose Versatzstücke zusammen, die aber den Exponaten irgendwie dennoch angemessen sind. Leider wird von Tom alles erbarmungslos gefilmt. Übrigens haben sowohl der Bundespräsident als auch Klaus Staeck ihr Kommen ausdrücklich ausgeschlossen - ein Votum gegen das Triviale? Auch Schlingensief ist nicht da, aber ihm soll es momentan ja auch sehr schlecht gehen.
Am nächsten Morgen ist der Spuk vorbei. Auf der Rückfahrt erarbeitet sich unser ICE 30 Minuten Verspätung wegen Schafen im Gleis. Und so klingt das Wochenende mild-absurd aus.