Donnerstag, 29. Mai 2008

Recht unterhaltsam

Am Telefon klingt es endgültig: "Wir sehen uns vor Gericht!" Und dann auch noch vor der letzten Instanz! Doch unser Besuch beim Bundesgerichtshof wird weniger dramatisch, als es klingt. Der Mann vom Sicherheitsdienst erläutert uns zunächst die überragende Rolle des BGHs in Deutschland und dann (mit stolzgeschwellter Brust), wieviele RAF-Anschläge es in den 70ern gegeben hätte. Dann führt er uns übers Gelände und in die größte rechtswissenschaftliche Bibliothek Deutschlands. Dabei klagt(!) er über den mangelnden Bürgerzuspruch in den Verhandlungen. Ob die festungsartige Anlage des Geländes damit etwas zu tun hat? Nur ein Gedanke!

Leider können wir die 1. Etage des Palais nicht besichtigen, da gerade der ehemalige Präsident aufgehängt wird. Bzw. natürlich bloß ein Gemälde von ihm! wie der Sicherheitsmann konkretisiert. Wir hören die Bundesrichter oben feiern, doch angeblich gibt es nicht mal Häppchen - der Bundeshaushalt, seufz! In einem Senatssaal sehen wir den lächerlichen Bundesadler von - natürlich! - Lüpertz zum ersten Mal live. Wann werden die Trivialbereiche der zeitgenössischen Kunst endlich schuldig gesprochen? Im BGH hätte man doch alle Mittel dazu!

Wir verlassen das Gericht als freie Menschen und beschließen den Abend in der neuen Cocktailbar von Carlos Jurado Hernandez am Lidellplatz. Unser Urteil: ausgezeichnet!

Montag, 26. Mai 2008

Tête-à-tête

Wenn man sich in Rastatt mit Kultur befaßt, landet man ganz schnell auf der Straße. Und zwar beim Tête-à-tête, Deutschlands größtem Straßentheaterfestival. Wir sind zwar zum ersten Mal dort, kennen einige Künstler aber schon von der Gruppe Platzregen: den Jongleur Ben Smalls, Knäcke oder die Damen von Theater Pikante - diesmal als preußisch-stramme Ameisen und nicht als aufgeregte Hühner verkleidet.

Am besten gefällt uns aber Superbuffo (siehe Bild) aus der Schweiz, der seinem Namen alle Ehre macht. Nach einigen Gags mit zerplatzenden Kohlköpfen und Zuschauer-Handys läßt er das Publikum die Schweizer Nationalhymne singen - oder jedenfalls eine etwas vereinfachte Form. Ganz Rastatt ist ergriffen.

Knäckes aktuelles Programm scheint uns etwas schwerfällig zu sein. Am Ende erleben wir aber noch ein echtes Spektakel: Die Riesenmarionetten des Bouldegom Théâtres halten auf der Straße einen Polizeibus an und wollen ihn durchsuchen. Doch die Polizisten spielen leider nicht mit. Was war das nun, Widerstand gegen die Spaßgewalt oder Störung der öffentlichen Unordnung?

Mein Lieblingsgericht

Karlsruher Verfassungsgespräche im Bundesverfassungsgericht! Wir hatten zufällig Karten aufgegabelt und lassen die Chance natürlich nicht ungenutzt verstreichen. Immerhin soll es um "Religionsfreiheit und Integration" gehen, seit Jahren ja ein heißes Eisen.

Apropos Eisen: Von der Bundespolizei - "Sie sind Bürger?" - werden wir zu Tür 2 geschleust, also dem Eingang mit Metalldetektor und Flughafenschleuse. Geladene Gästen dürfen Tür 1 benutzen und müssen nur ihren Personalausweis vorzeigen. Schon mal eine tolle Geste!

Als wir den Saal des Verfassungsgerichts betreten wollen, werden wir von einem Mitarbeiter - "Sie haben Bürgerkarten?" - dezent auf unsere Plätze hingewiesen: in der 1. Etage, außerhalb des Saals und von diesem durch Glasscheiben getrennt. Immerhin sind Lautsprecher aufgestellt. Klasse, wir können also sogar mithören, was drinnen gesprochen wird!

Und dann geht es auch schon los. Hans-Jürgen Papier eröffnet den Abend mit einer gähnend langweiligen Erörterung der Religionsfreiheit im Grundgesetz. Anschließend spricht der König zum Volk, Karlsruhe als Hort der Freiheit usw. Kurz vor dem Einschlummern betreten die Gladiatoren die Bühne: Ali Ertan Toprak, Ayyub Axel Köhler, Bischof Huber, Kardinal Lehmann, Ex-Verfassungsrichter Dieter Grimm, Luzius Wildhaber (ehemaliger Präsident des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte) und natürlich Wolle Schäuble.

Die Diskussion gleitet schnell in Kleinthemen ab. Muß man denn heute immer noch über den belanglosen Kopftuchstreit reden? Ein wenig interessant wird es erst, als Schäuble sein Verständnis von staatlicher Neutralität konkretisiert. Ja, natürlich, für den Staat seien alle Religionen gleich. Aber ein Kreuz im Klassenzimmer sei doch etwas ganz anderes als ein Kopftuch im Klassenzimmer! Unsere Verfassung basiere auf christlichen Werten, ein Angriff aufs Kreuz wäre vielleicht auch ein Angriff aufs Grundgesetz usw. Das Interessante: Dieser offensichtliche Quatsch ist ihm nicht einmal peinlich. Er ist eben Politprofi durch und durch.

Schade, daß wirklich wichtige Themen nicht angeschnitten werden. Was ist zum Beispiel von einer Religionsfreiheit zu halten, bei der praktisch alle Menschen ihre Religionszugehörigkeit von ihren Eltern erben? Müßte der Staat im Sinne einer echten Religionsfreiheit nicht etwas gegen diese enorme kindliche Prägung unternehmen? Und warum genießen Religionen Sonderrechte gegenüber allen anderen Weltanschauungen? Gotteslästerung kann bestraft werden, Nietzsche-Lästerung aber zum Beispiel nicht (Gott sei Dank!). Echte staatliche Neutralität sieht doch wohl anders aus.

Leider müssen wir die Veranstaltung wegen einer anderen Verpflichtung vorzeitig verlassen. Wir verpassen also das Beste: die Häppchen. Ein Gericht im Gericht, das wäre es doch mal gewesen.

Samstag, 24. Mai 2008

Tanz im Mai

Das Programm des Festspielhauses Baden-Baden ist ja nun wirklich ganz einfach gestrickt. Man schickt dort ausnahmslos Weltklassekünstler mit ihren größten Programmen auf die Bühne. Aber immer nur Brendel, Hahn oder Perahia anhören? Nein, das würde auf Dauer ermüden. Darum wagen wir den Kategoriensprung und gönnen uns erstmals einen Ballettabend im Festspielhaus. Die Compañía Nacional de Danzas unter Nacho Duato präsentiert ein munteres Dreierprogramm - mal gucken, wie's wird!

Es wird eine Sensation. Schon das erste Stück Arcangelo fesselt uns alle. Zu Musik von Corelli und Scarlatti drücken die Spanier vor einer gold-grauen Bühne reine Schönheit aus. Die Choreographie bleibt nah an der Musik, weicht aber im genau richtigem Maß von ihr ab, so daß stets angenehmste Hochspannung herrscht (hier ein Ausschnitt). Im zweiten Stück Gilded Goldberg dann ein radikaler Wechsel - tanzen zu den Goldberg-Variationen, darf man das überhaupt? Wenn man es intelligent macht, durchaus! Duato hatte hier die feine Idee, die Regelhaftigkeit der Bachschen Musik durch subtile Gesten anzudeuten. Beispiel: Als eine Tänzerin den Arm hebt, wird dieser von einem Tänzern wieder heruntergedrückt. Auch diese Bewegungssprache wird aber elegant-sparsam eingesetzt. Das dritte Stück White Darkness schließlich raubt uns allen den letzten Rest Atem, den wir vielleicht noch hatten. Die Compañia setzt die Adiemus-Variationen II von Karl "Palladio" Jenkins ungemein effektvoll um: als Drogenfantasie! Lichtsäulen aus herabrieselndem Sand und mitreißende Tanzformationen, die an Schwarmintelligenz erinnern - wow.

Das gesetzte Publikum ist völlig aus dem Häuschen. So begeistert habe ich Baden-Baden noch nie erlebt. Noch zwei, drei zusätzliche Bravos, und man wähnte sich auf den Ettlinger Schloßfestspielen!

Doch selbst Sensationen können noch gesteigert werden, und so begeben wir uns nach der Vorstellung auf direktem Weg zum wichtigsten gesellschaftlichen Ereignis Karlsruhes, Guidos jährlichem Empfang. Das Motto in diesem Jahr lautet "Armenspeisung", doch das kulinarische Angebot wird diesem Anspruch nicht im Geringsten gerecht: Häppchen & Wein sind fantastisch.

Freitag, 23. Mai 2008

Wer nicht volkswagt, der nicht gewinnt?

Das alte VW-Gesetz verstieß gegen europäisches Recht und wurde darum vom Europäischen Gerichtshof im Oktober 2007 einkassiert. Nun legt die Bundesregierung eine Neuauflage dieses Gesetzes vor, die - für alle erkennbar - erneut gegen den EG-Vertrag verstößt.

Was passiert, wenn ein Bürger ein Gerichtsurteil einfach nicht beachtet?
Was passiert, wenn eine Regierung ein Gerichtsurteil einfach nicht beachtet?

Donnerstag, 22. Mai 2008

Last but least

Bei Wikipedia kann man immer wieder auf höchst triviale Textpassagen stoßen, doch dieser Abschnitt im Eintrag über James Last ist selbst für Wikipedia-Verhältnisse bemerkenswert: "Bis einschließlich 1970 verbrachte die Familie Last ihren Sommerurlaub auf Sylt, wo man auf einem Campingplatz wohnte und viele Strandpartys feierte. Ein Autounfall änderte dies und führte letztlich zum Umzug nach Florida: Auf der Rückreise von Sylt überlegte sich die Familie Last ob des defektes Auspuffs ihres Opel Diplomats nach Düsseldorf weiterzufahren und bei Auto Becker eine rasante Limousine zu kaufen".

Ob des defekten Auspuffs! Bei Auto Becker!

Mein bisheriger Wikipedia-Liebling war ja dieser schöne Text.

Mittwoch, 21. Mai 2008

Consummatum est

Nach viel zu langer Zeit habe ich endlich Spiegel online aus der Favoritenliste meines Browsers gestrichen. Der Quatsch war einfach nicht mehr auszuhalten. Nun bedrängt mich die peinliche Frage, warum ich lange Jahre unbedingt jeden Tag ein Boulevardmagazin lesen mußte? Früher habe ich doch auch nicht Bunte gekauft oder das Abendprogramm der ARD eingeschaltet. Rätselhaft.

Auf gesellschaftlichem Parkett kann man bei Nachfragen notfalls immer noch das Profi-Argument bringen: Man kann sich nur dann in der Gesellschaft orientieren, wenn man auch das liest, was die anderen lesen. Irgendwann endet man dann aber als Leser von Bild online, auch nicht toll.

Schön, daß ich mich jetzt nicht über Spiegel online aufregen muß.
Schade, daß ich mich jetzt nicht mehr über Spiegel online aufregen kann.

Dienstag, 20. Mai 2008

Ramschartikel

Rheinland-Pfalz verbietet als erstes Bundesland öffentliche Pokerveranstaltungen. Nur noch in konzessionierten Spielbanken ist das Spiel erlaubt, natürlich. Der Grund ist natürlich keinesfalls und unter gar keinen Umständen, daß man die staatlichen Konzessionseinnahmen gegen aufstrebende private Pokerturniere schützen möchte. Völlig undenkbar! Nein, der Staat ist ausschließlich in tiefer Sorge um suchtgefährdete Minderjährige. Bzw. wenn sie schon süchtig werden, dann bitteschön beim staatlichen konzessionierten Lotto. Das bleibt nämlich legal.

Leider wieder mal ein herrliches Beispiel für den enttäuschenden Grundrechtsschutz durch Artikel 2 (1) GG. Durch die schwammige Formulierung kann Rabenvater Staat damit praktisch alles verbieten, was ihm vor die Nase kommt.

Montag, 19. Mai 2008

Deutschland aus der Vogel-Perspektive

Die beiden Vogel-Brüder stellen ihr neues Buch in Karlsruhe vor und haben sich dazu den NTI-Hörsaal der Uni ausgesucht. Es kommt richtiges Uni-Feeling auf: Der Saal ist zu etwa 120 Prozent belegt. Da man hier auf eine systematische Belüftung verzichtet hat (sonst werden hier ja bloß Nachrichtentechniker ausgebildet), ist der Sauerstoff schon nach wenigen Minuten verbraucht, juhu!

Doch als Hans-Jochen und Bernhard Vogel die Bühne betreten, sind alle biologischen Mühen vergessen. Die beiden decken ja mal eben locker 60 Jahre deutsch-deutscher Geschichte ab, und als sie ins Erzählen kommen, liegt ihnen das ganze Publikum zu Füßen. Immerhin haben sie ja die beiden großen sozialdemokratischen Volksparteien in Deutschland mitaufgebaut.

Eines ihrer großen Lebensthemen: Verwechslung. Vogel d.Ä. berichtet von einer Begegnung mit dem einzigartigen Heinrich Lübke. Der Bundespräsident hätte ihn bei einer Veranstaltung gefragt, ob er denn er selbst sei oder sein Bruder? Eine schwierige Frage, deren Beantwortung größtes politisches Geschick erfordert! Vogel d.J. hingegen erinnert sich an die Landtagswahl 1983, als er für das Amt des Ministerpräsidenten kandidierte und sein Bruder am selben Tag Kanzlerkandidat der SPD war. Überall in Rheinland-Pfalz hätten Wahlplakate der beiden Brüder nebeneinander gehangen, aber seiner Werbeagentur sei der bessere Scherz gelungen: Aufkleber mit dem Aufdruck "Mein Vogel heißt Bernhard".

Am Ende besteht die Möglichkeit zur Diskussion, und es kommt, wie es kommen muß: Eine eifrige Studentin outet sich als Mitglied des Debattierclubs der Uni Karlsruhe und möchte wissen, wie denn die beiden Brüder zu Elite-Unis stünden? Der ganze Saal ist peinlich berührt, aber Hans-Jochen und Bernhard sind ja Profis: Mit ein paar eleganten Bemerkungen werden die Themen "Elite" und "soziale Gerechtigkeit" verbunden, und der Abend klingt versöhnlich aus.

Das war die Bonner Republik.

Sonntag, 18. Mai 2008

Heute ist Museumstag

Das Naturkundemuseum in Karlsruhe kannte ich bislang nur von einigen Veranstaltungen der Astronomischen Vereinigung. Am Internationalen Museumstag kann man sich aber kostenlos die Dauerausstellung ansehen, und so marschieren wir frohen Mutes und prallen Geldbeutels in das Museum, das - natürlich, Stadt der Superlative! - zu den bedeutendsten Forschungssammlungen Deutschlands zählt.

Überall ausgestopfte Tiere, alte Knochen, exotische Fische usw., das war ja zu erwarten. Doch plötzlich stoßen wir in einem Becken auf einen schwimmenden Salamander aus China, der reglos unter einem Stein liegt und sich so gut versteckt, wie es nur geht - und das als Highlight des Saals! Man könnte dieses Verhalten als artenspezifische Bescheidenheit deuten. Doch bei genauerem Hinsehen entpuppt sich die Wahrheit: Die Evolution hat den armen Kerl mit einem so häßlichen Kopf ausgestattet, daß ihm wohl gar nichts anderes übrig bleibt. Wir alle würden ähnlich handeln.

Natürlich kommen wir auch an menschlichen Skeletten aus grauer Vorzeit vorbei, viele von ihnen in klassischer Kauerstellung. Aber warum nicht mal in Kalauerstellung? Etwas mehr Pfiff würde der Evolution gewiß nicht schaden, darin kann man selbst den Vertretern des (gar nicht so) Intelligent Designs doch durchaus mal zustimmen.

Auf dem Rückweg probieren wir noch den Korea Imbiss im Passagehof aus. Die Lieblingszutat des Kochs ist offenbar Glutamat, aber bei 6 Euro fürs Buffet kann man trotzdem nicht meckern. Apropos: Wäre Chick Corea nicht mal eine schöne kulinarische Innovation?

Carlo-Kater

Seit dem großen Zusammenbruch vor einem Dreivierteljahr telefonieren zwar sehr viel weniger Leute über Skype, aber seine Salon-Funktion erfüllt der Dienst weiterhin tadellos: Im Skype-Chat kann man prima große Thesen in die Halböffentlichkeit werfen, über die man dann später im stillen Kämmerlein noch einmal gründlich nachdenken kann.

Und so kommen wir irgendwie auf lokale Parallelwährungen zu chatten, äh, sprechen. In Karlsruhe gibt es ja seit längerem eine Regionalgeld-Initative namens Carlo: In allen Geschäften, die bei dem Projekt mitmachen, kann man mit Carlo bezahlen und bekommt auch entsprechendes Wechselgeld zurück. Carlo ist letztlich nichts anderes als der Versuch einer Kundenbindungsmaßnahme auf lokaler Ebene, aber die Organisatoren verkaufen die Idee natürlich anders: Die lokale Wirtschaft würde gestärkt, außerdem könne man so Arbeitsplätze vor Ort erhalten. Toll, etwas mehr Gerechtigkeit auf dieser Welt!

Plausibel? Ein Blick ins Jahresprogramm nährt erste Zweifel. Die Vorträge heißen zum Beispiel Der Heißhunger der "Heuschrecken" und die Folgen für Karlsruhe oder Solidarisch miteinander wirtschaften – (wie) geht das? Hm, hm.

Solange Regionalgeld-Initiativen keine große Bedeutung haben, ist natürlich auch ihre Wirkung kaum zu messen. Aber nehmen wir mal an, Carlo & Konsorten würden großflächig funktionieren und einen erheblichen Teil des Wirtschaftslebens abdecken. Was würde passieren? Ganz einfach: Handel & Produktion würden (wie erhofft) regionalisiert und der Handel zwischen Regionen erschwert werden. Die Folge wäre wohl abnehmender Wohlstand, da sowohl Käufer als auch Verkäufer auf einem sehr viel kleineren Markt auftreten müßten. Glücklicherweise ist das Regionalgeld weit von einem Marktdurchbruch entfernt. Aber paradoxerweise gelten Initiativen wie Carlo manchem als soziale Wohltat. Irgendwie ist Heimat ja doch kuscheliger als globaler Wettbewerb, auch wenn dieser uns nie gekannten Wohlstand gebracht hat.

Vielleicht ist es am Ende einfach eine diffuse Abneigung gegenüber der kapitalistischen Gesellschaftsorganisation mit ihrem hohen Maß an Freiheit, die so manchen dazu bringt, sich pseudo-sozialen Initiativen mit kontraproduktiven Forderungen anzuschließen. Bekannte Beispiele sind ja Attac (Motto: etwas gegen die Armut in der Welt tun! Wirkung: etwas gegen den Aufschwung in der Dritten Welt tun) oder Greenpeace (Motto: etwas für die Umwelt tun! Wirkung: etwas für die Greenpeace-Spendenkasse tun).

Freitag, 16. Mai 2008

Der Golf-Krieg

Bitte mal alle zuhören: Aus Respekt vor den US-Soldaten, die im Irak-Krieg gefallen sind, hat George Bush das Golfen aufgegeben.

Mittwoch, 14. Mai 2008

Missionarischer Atheismus

Religionen sind eine quasi-virale Geisteskrankheit. Das ist, etwas verkürzt, die Quintessenz aus Richard Dawkins Streitschrift Der Gotteswahn, die ich nun endlich gelesen habe.

Über die Diagnose muß man nicht lange diskutieren. Die allermeisten Leute sehen ja sofort ein, daß menschliche Konstrukte wie der Weihnachtsmann, Feen oder das Fliegende Spaghettimonster Humbug sind. Man kann niemanden davon abhalten, sich mit diesen Dingen zu beschäftigen oder sie meinetwegen auch zu persönlichen Leitbildern des Lebens zu machen. Jeder hat das Recht auf den größten Mumpitz, solange er nicht andere zwingt, dabei mitzumachen. Aber warum genießen gewisse Quatschbewegungen sogar besonderen gesetzlichen Schutz? Und warum sitzen ihre Vertreter in Rundfunk- und Ethikräten und haben auch sonst erheblichen Einfluß auf das öffentliche Leben? Man kann es ja drehen und wenden, wie man will, aber diese und ähnliche Fragen sind sehr peinlich für Gesellschaften, die sich für aufgeklärt halten.

Nun sind Dawkins ja viele Vorhaltungen wegen seines Büchleins gemacht worden. Zahlreiche Kritiker waren im Grunde der Meinung, daß man auch Quatsch ernst nehmen sollte - inbesondere dann, wenn man es mit vielen Quatschköpfen auf der anderen Seiten zu tun hat. Das mag für Politiker gelten, bringt das Projekt der europäischen Aufklärung allerdings kaum voran. Theologen warfen Dawkins zudem vor, daß er sich zu wenig in theologischen Fragen auskenne. Wenn man diesem Argument folgt, kommt bald noch Franz Beckenbauer auf die Idee, Fußball zur Staatsreligion zu erheben. Kritik an ihr könnte man dann elegant mit dem Argument abbügeln, daß niemand soviel von Fußball versteht wie der Kaiser.

Die wirklich entscheidende Frage lautet jedoch: Muß man sich 2008 wirklich noch mit diesem Thema beschäftigen? Sind Religionen noch so einflußreich, daß man sie bekämpfen müßte? Dawkins antwortet mit einem entschiedenen Ja, und sein Buch ist die systematischste Argumentesammlung gegen den Aberglauben, die man sich vorstellen kann.

Fazit: Pflichtlektüre für jeden aufgeklärten Humanisten.

Symbolisches Symbol

Spiegel online kombiniert heute mal wieder politische Analyse mit meisterhaftem Sprachgebrauch. Hillary Clinton hat die Vorwahlen in West Virginia gewonnen, aber dies sei "ein Sieg mit nur symbolischer Bedeutung".

Ein Symbol wofür? Für ihren Gesamtsieg ja wohl kaum. Also für ihre Niederlage? Das wäre ja selbst für Spiegel-Verhältnisse zu absurd. Gemeint ist natürlich, daß ihr Sieg unbedeutend war. Dann sollte man das bitte auch so formulieren.

Aber vielleicht war am Ende die Wendung "symbolische Bedeutung" selbst nur symbolisch gemeint ...

Sonntag, 11. Mai 2008

Pfingsten in der Pfalz

Wir setzen eine 4 Wochen alte Idee fort und nutzen unser Interesse an der Burg Trifels zu einem Spontanausflug in die Pfalz. Auf dem Parkplatz fällt mein geübter Blick sofort auf die Speisekarte der Imbißbude: "arische Gerichte", na sowas? Doch es war bloß ein Knick im Papier, durch den das "Veget" glatt unterschlagen wurde. Aber bei den Pfälzern weiß man eben nie!

Der Aufstieg zur Burg ist nicht wirklich beschwerlich, fällt unserer Meinung aber doch schon in die Kategorie "Aufstieg", ist also kein Spaziergang mehr. Doch die Aussicht entschädigt für alles, und obendrein werden wir auf dem Gipfel auch noch mit Weltpolitik konfrontiert: Der berühmteste, nun ja, Gast der Reichsburg Trifels war kein Geringerer als Richard Löwenherz, der hier 1193 von Kaiser Heinrich IV. gefangen gehalten wurde. Erst nach Zahlung eines ruinös hohen Lösegeldes wurde Richard freigelassen, und bis heute weiß kein Mensch, warum England sich das angetan hat: Erstens sprach Richard kaum Englisch, zweitens hat er sich praktisch nie in England aufgehalten, und drittens fühlte er sich wohl auch viel mehr als Franzose denn als Engländer. Hätte es damals denn wirklich kein besseres Investment gegeben? Heute kann man die Staatsfinanzen jedenfalls viel eleganter ruinieren - immerhin das hat Rheinland-Pfalz aus der Löwenherz-Episode gelernt.

Gut informiert erklimmen wir auch die anderen beiden Gipfel am Trifels und beobachten dabei einen Boulder-Schüler, der von seinem offenbar elsässischen Trainer ermahnt wird: "Longsam, longsam"! Wir hingegen ziehen schnell weiter. Als wir später erschöpft wieder am Parkplatz ankommen, haben wir uns eine kleine Belohnung verdient, finden wir. Also verschieben wir den Barfußpfad Ludwigswinkel auf den nächsten Ausflug und machen uns statt dessen auf den Weg nach Herxheim, um endlich einmal in die Pfälzer Stube des Hotels Krone einzukehren. Mein Saumagen ist ausgezeichnet gewürzt, aber der butterweiche Dornfelder des Weinguts Pfaffmann kommt kaum gegen ihn an - ein kräftiger Franzose wäre vielleicht doch die bessere Wahl gewesen. Ankes Rinderroulade harmoniert erstaunlicherweise wesentlich besser mit ihrem Weißburgunder vom Weingut Wehrheim.

Ach ja, die Pfalz.

Freitag, 9. Mai 2008

Killerspiele

Unsere Symbolpolitiker haben entschieden: Gewalthaltige Computerspiele können nun noch einfacher auf den Index gesetzt werden. Dazu müssen sie lediglich "besonders realistische, grausame und reißerische Gewaltdarstellungen und Tötungshandlungen beinhalten, die das mediale Geschehen selbstzweckhaft beherrschen". Mit anderen Worten: Spiele kommen auf den Index, wenn sie sich nicht auf den Kern ihrer Handlung beschränken. Gummiparagraph, ick hör dir trapsen.

Wann kommt endlich die Ausweitung auf jugendgefährdende Literatur? Beispiel aus der (ausgerechnet!) Gute-Nacht-Bibel der Deutschen Bibelgesellschaft: "Sie trafen auch auf ihren König Adoni-Besek und kämpften gegen ihn. Er ergriff die Flucht, aber sie jagten ihm nach und nahmen ihn gefangen. Sie hackten ihm die Daumen und die großen Zehen ab. Da sagte er: 'Siebzig Königen ließ ich die Daumen und Zehen abhacken und sie mussten sich von den Resten nähren, die von meinem Tisch fielen. Jetzt hat Gott mir dasselbe Schicksal bereitet" (Buch der Richter, 1. Kapitel). Oder wenig später: "Jaël aber nahm einen Zeltpflock und einen Hammer und trat leise an Sisera heran. Er lag auf der Seite und war vor Erschöpfung in tiefen Schlaf gefallen. Sie trieb den Pflock durch beide Schläfen hindurch bis in die Erde."

Die ersten Bibelfolgenabschätzungen liegen ja bereits vor ...

Donnerstag, 8. Mai 2008

Well done!

Der Online-Ableger der F.A.Z. gönnt sich ja seit einiger Zeit ein Leseforum zur Zukunft der deutschen Sprache. Bislang hieß dieses Angebot ausgerechnet Reading Room. Nach Leserprotesten hat man es nun in Lesesaal umgetauft. Der Vorschlag "Lit.Faz.Säule" kam nicht durch.

Wenn jetzt jemand bitte noch eine deutsche Entsprechung für "Feuilleton" hätte ...

Mittwoch, 7. Mai 2008

Kalender

Damit hatte ja nun wirklich keiner mehr gerechnet: Sunbird, die Kalender-Applikation des Mozilla-Projekts, liegt seit neuestem in einer Fassung vor, die auch tatsächlich funktioniert! Man kann inzwischen sogar Termine anlegen, ist das denn zu fassen? Wenn man einen Termin einträgt, wird er sogleich in der Monatsübersicht angezeigt - so, als wäre Sunbird eine ernstzunehmende Alternative zu Outlook. Ich weine vor Freude.

Derweil berichtet Bernhard von einer interessanten Eigenschaft des Apple-Kalenders: Man kann keine mehrtägigen Termine anlegen. Urlaub ist nicht vorgesehen, wie preußisch! Ich muß an die jüngste Wallraff-Geschichte im ZEITmagazin denken.

Wie immer bei Softwareidiotie gilt aber auch hier: It's a feature, not a bug.

Dienstag, 6. Mai 2008

Besuch bei RetroGames

Der Verein RetroGames e.V. gehört zu den bemerkenswerteren kulturellen Einrichtungen in Karlsruhe: Man kann dort uralte Computer- und Automatenspiele zocken. Alle drei Jahre sollte man ruhig mal wieder hingehen und sich mit den bis zu 30 Jahre alten Exponaten beschäftigen. Gedacht, getan.

Der Mann an der Kasse möchte zunächst 3 Euro Eintrittsgeld von uns, überlegt es sich dann aber anders: "Zahlt beim Rausgehen einfach, was Ihr wollt". Hocherfreut betreten wir die heiligen Hallen. Während Günther sich mit verschiedenen Flippern beschäftigt, zocke ich ein paar Runden Arkanoid, Frogger und Out Run. Geschockt bin ich allerdings von Pit Stop 2: Vor nicht einmal einem Vierteljahrhundert hielt ich (und nicht nur ich!) das Spiel für einen Geniestreich, heute ist es gähnend langweilig. Die Zeiten ändern sich, und die Spiele mit ihnen.

Beim Rausgehen werfen wir 4 Euro in die Kasse. Umsatz mal eben um 33 Prozent gesteigert, und dann auch noch durch pure Freundlichkeit. Das ist wirklich retro.

Montag, 5. Mai 2008

Tour de Vogel

Wir nutzen das wunderbare Wetter, um uns endlich mal auf die Tour de Vogel zu machen, die Regionalrundfahrt der drei Vogelbräu-Wirtschaften. Die Idee: Wer bei jeder Wirtschaft einen Zwischenstop einlegt und ein Getränk zu sich nimmt, bekommt das dritte kostenlos. Sport, Spaß, Sparen - da lachen Herz & Kehle des Alliterationsfreunds!

Wir wählen den Streckenverlauf Durlach - Ettlingen - Karlsruhe und nähern uns zunächst dem Turmberg. Bewegung und gute Luft bringen uns ins Grübeln: Den Turm auf dem Turmberg nennen ja alle Turmberg-Turm, doch der Turmberg ist ja offenbar nach dem Turm benannt worden. Sollte man den Turmberg also (Turmberg-Turm)-Berg nennen? Und den Turm dann ((Turmberg-Turm)-Berg)-Turm?

Bevor der Regreß unendlich wird, erreichen wir glücklicherweise das Vogelbräu Durlach und stärken/schwächen uns mit dem ersten Getränk. Flugs geht es über Wolfahrtsweier und den idyllischen Waldradweg an der Hedwigsquelle weiter Richtung Ettlingen. Kunstfreunde aufgepaßt: Bald sind wieder Schloßfestspiele. Die Stadt mit dem unkritischsten Publikum der Welt macht sich schon hübsch für die kulturellen Höhenflüge. Man darf schon gespannt sein, ob die Langeweile der Vorjahre noch übertroffen wird.

Doch wir haben keine Augen für die große Kunst, widerstehen sogar dem Eiscafé Pierod an der Alb und radeln unserem Ziel entgehen: dem Vogelbräu in der Kappellenstraße. Dort nehmen wir stolz unser Freigetränk entgegen. Bilanz: immerhin 36 Kilometer.

Freitag, 2. Mai 2008

Verunglimpfungen

Die Türkei hat endlich einen reichlich unzivilisierten Straftatbestand abgeschafft: die Verunglimpfung des Türkentums. Wenn Staaten es für nötig halten, sich vor Verunglimpfung zu schützen, ist das ja immer ein Zeichen von Schwäche. Denn wenn ein Staat glaubt, daß seine Bürger anfällig für Verunglimpfungen sind, kann man ihn ja gleich zumachen.

Die deutsche Politik sollte diese erfreuliche Nachricht zum Anlaß nehmen, den peinlichen § 90 a des Strafgesetzbuches ("Verunglimpfung des Staates und seiner Symbole") auf den Müllhaufen der Geschichte zu werfen. Wo leben wir eigentlich, daß staatliche Symbolik einen höheren Schutz genießt als Meinungsfreiheit?

Donnerstag, 1. Mai 2008

Frag würdig

Spiegel online hat Martin Schulz interviewt, der als Nachfolger von Günter Verheugen gehandelt wird. Doch leider sind die Fragen von Florian Gathmann so zahn- und interesselos, daß der Aussagewert des Gesprächs praktisch bei null liegt. In der angelsächsischen Welt hätte wahrscheinlich nicht einmal ein Praktikant gewagt, so etwas beim Chefredakteur abzuliefern.